UNO sieht Angriff auf Flüchtlingslager in Libyen als mögliches Kriegsverbrechen
Die Vereinten Nationen haben einen Luftangriff auf ein Flüchtlingslager nahe der libyschen Hauptstadt Tripolis mit mindestens 44 Todesopfern und mehr als 130 Verletzten als mutmaßliches Kriegsverbrechen eingestuft. Die international anerkannte Regierung in Tripolis machte die Truppen des abtrünnigen Generals Chalifa Haftar für den Angriff in der Nacht zum Mittwoch verantwortlich. Zahlreiche Regierungen und internationale Organisationen äußerten sich entsetzt über den Vorfall.
Der Luftangriff "könnte eindeutig ein Kriegsverbrechen darstellen", erklärte der UN-Sondergesandte für Libyen, Ghassan Salamé. Er rief die internationale Gemeinschaft auf, dieses "schändliche und blutige Gemetzel" zu verurteilen und die Verantwortlichen zu sanktionieren. Es handele sich um einen "krassen Verstoß gegen die internationalen Menschenrechte".
Laut der UN-Libyenmission Manul wurden bei dem Angriff auf das Flüchtlingslager in Tadschura am Stadtrand von Tripolis mindestens 44 Menschen getötet und mehr als 130 weitere schwer verletzt.
Die EU verurteilte den "schockierenden und tragischen Angriff" auf das Flüchtlingslager und forderte eine internationale Untersuchung. Gewalt gegen Zivilisten, "Flüchtlinge und Migranten eingeschlossen", sei "inakzeptabel", erklärte EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Die Bundesregierung verurteilte den Angriff scharf. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes erklärte, es müsse schnellstmöglich geklärt werden, wer dafür verantwortlich sei.
Frankreichs Außenministerium rief die Kriegsparteien zur "sofortigen Deeskalation und zur Einstellung der Kampfhandlungen" auf. Auch Italiens Außenminister Enzo Moavero äußerte sich bestürzt und verurteilte die "Bombardierung ziviler Gebiete" scharf.
Die Türkei sprach von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. "Es muss umgehend eine internationale Untersuchung eingeleitet werden, um die Verantwortlichen zu identifizieren", sagte der türkische Außenamtssprecher Hami Aksoy und drängte die Staatengemeinschaft, unverzüglich zu handeln. Die Türkei unterstützt die Regierung in Tripolis militärisch gegen die Kräfte des abtrünnigen Generals Haftar. Die Festnahme von sechs türkischen Seeleuten durch die Truppen Haftars hatte zuletzt zu massiven Spannungen mit der Türkei geführt.
Die in Tripolis ansässige libysche Regierung der nationalen Einheit machte die Truppen des "Kriegsverbrechers" Haftar für den Angriff verantwortlicht. Das Flüchtlingslager sei Ziel eines "vorsätzlichen" und "präzisen" Angriffs geworden, erklärte sie.
Haftar-freundliche Medien hatten am Dienstagabend über eine "Reihe von Luftangriffen" auf Tripolis und Tadschura berichtet. In Tadschura befinden sich mehrere Militäreinrichtungen von regierungstreuen Einheiten. Die Vorstadt wird deswegen immer wieder von den Truppen des abtrünnigen Generals angegriffen, der eine Gegenregierung im Osten des Krisenstaates unterstützt.
Haftar hatte Anfang April eine Offensive auf Tripolis gestartet, wo die international anerkannte Regierung Libyens ihren Sitz hat. Regierungstreue Truppen und Einheiten Haftars liefern sich seither erbitterte Kämpfe um die Kontrolle der Hauptstadt. Nach UN-Angaben wurden dabei bisher mehr als 650 Menschen getötet.
Die Vereinten Nationen und zahlreiche internationale Hilfsorganisationen hatten sich angesichts der Kämpfe wiederholt besorgt über das Schicksal von Flüchtlingen und Migranten geäußert, die in dem Bürgerkriegsland festgehalten werden. Trotz der Gewalt ist Libyen nach wie vor eines der wichtigsten Transitländer für Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Staaten oder dem Nahen Osten, die über das Mittelmeer nach Europa gelangen wollen.
(A.Nikiforov--DTZ)