UN-Menschenrechtskommissarin prangert Rechtsverletzungen in Venezuela an
UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet hat die Aushöhlung des Rechtsstaats in Venezuela angeprangert. Wer in dem Land versuche, seine Meinung frei zu äußern, riskiere Repressalien und Unterdrückung, sagte Bachelet am Freitag vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf bei der Vorstellung ihres neuen Venezuela-Berichts. Der Bericht dokumentiert zudem tausende mutmaßliche außergerichtliche Hinrichtungen in Venezuela.
"Zentrale Institutionen und der Rechtsstaat werden in Venezuela ausgehöhlt", sagte Bachelet in Genf. Die Angriffe auf tatsächliche oder vermeintliche politische Gegner und Menschenrechtsaktivisten in Venezuela reichten von "Drohungen und Schmutzkampagnen über willkürliche Inhaftierung, Folter, Misshandlung, sexuelle Gewalt, Tötungen und erzwungenes Verschwindenlassen", führte sie weiter aus.
Nach offiziellen Angaben sind in Venezuela in den vergangenen eineinhalb Jahren bei Polizeieinsätzen fast 7000 Menschen getötet worden, die "Widerstand gegen die Staatsgewalt" geleistet hätten. Der Verdacht sei begründet, "dass diese Tötungen als außergerichtliche Hinrichtungen von Sondereinsatzkräften zu bewerten sind", heißt es in Bachelets Bericht.
Die chilenische Ex-Präsidentin machte die Sonderpolizei FAES für die Exekutionen verantwortlich und forderte deren Auflösung. Die Regierung in Caracas forderte sie auf, eine unabhängige und unparteiische Untersuchung der Hinrichtungen einzuleiten. Die Täter müssten zur Verantwortung gezogen und die Opfer entschädigt werden. Die venezolanische Regierung wies den Bericht wegen zahlreicher "Fehler" und "Ungenauigkeiten" zurück.
Die FAES war 2017 als "Elite"-Einheit der Polizei gegründet worden, um "die Kriminalität zu bekämpfen". Die in schwarz gekleideten, schwer bewaffneten Mitglieder sind in der Bevölkerung gefürchtet. Die Menschenrechtsorganisation Provea wirft der Einheit gewalttätige Razzien vor allem in den Armenvierteln vor.
Bachelets Bericht dokumentiert außerdem eine Vielzahl weiterer Menschenrechtsverletzungen in dem südamerikanischen Land. Laut dem Bericht kommt es etwa bei der Vergabe sozialer Leistungen zu politischer Diskriminierung. Sozialprogamme würden als "Instrument sozialer Kontrolle" missbraucht.
Der Bericht bezieht sich auf die vergangenen zehn Jahre in Venezuela. Vor allem seit 2016 habe die Regierung eine Strategie durchgesetzt, die auf die "Neutralisierung, Unterdrückung und Kriminalisierung" von politischen Gegnern und Regierungskritikern abziele. Bis Mai dieses Jahres seien in Venezuela 793 Menschen willkürlich inhaftiert gewesen.
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag, Heike Hänsel, rief die venezolanische Regierung von Staatschef Nicolás Maduro auf, "Untersuchungen bezüglich des Vorwurfs der hohen Anzahl von außergerichtlichen Hinrichtungen einzuleiten". Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. "Es darf keine Straflosigkeit geben, wenn Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen inklusive Folter bestätigt werden", betonte Hänsel.
Die venezolanische Regierung monierte an dem UN-Bericht "unzählige Ungenauigkeiten, Fehler" und "falsche Behauptungen". Er sei "offen parteiisch" und zeuge von einer "selektiven Wahrnehmung", heißt es in einer 70 Punkte umfassenden Stellungnahme.
Ohne auf die Zahl der Menschen einzugehen, die dem UN-Bericht zufolge wegen "Widerstands gegen die Staatsgewalt" getötet wurden, erklärte die Regierung, die Staatsanwaltschaft sei über 292 Vorgänge zwischen 2017 und 2019 informiert, in die 388 Vertreter der FAES wegen "Mordes, brutaler Behandlung und häuslicher Gewalt" verwickelt seien.
Venezuela befindet sich seit Jahren in einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise. Seit Monaten liefern sich Präsident Maduro und Oppositionsführer Juan Guaidó einen erbitterten Machtkampf. Ende April war ein Putschversuch von Teilen der Streitkräfte gegen Maduro gescheitert.
Der umstrittene Staatschef kann nach wie vor auf den Rückhalt der Militärführung zählen und wird unter anderem von Russland unterstützt. Guaidó hatte sich am 23. Januar zum Übergangspräsidenten erklärt. Etwa 50 Staaten, darunter Deutschland und die USA, haben ihn anerkannt.
(I.Beryonev--DTZ)