Von der Leyen kämpft im EU-Parlament um Mehrheit
Bei einem Anhörungsmarathon im Europaparlament hat Ursula von der Leyen (CDU) versucht, Vorbehalte gegen ihre Nominierung als künftige EU-Kommissionspräsidentin auszuräumen. Die Reaktionen aus den Fraktionen der Sozialdemokraten und Grünen waren nach den insgesamt mehr als sechsstündigen Befragungen der Bundesverteidigungsministerin am Mittwoch kritisch. Positiver viel das Urteil bei den Liberalen aus.
Von der Leyen war vergangene Woche von den Staats- und Regierungschefs als Nachfolgerin von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorgeschlagen worden. Das Europaparlament muss der Ernennung zustimmen, bisher ist von der Leyen eine Mehrheit nicht sicher. In der EU-Volksvertretung gibt es Unmut darüber, dass die Mitgliedstaaten keinen Spitzenkandidaten der Parteien bei der EU-Wahl als Kommissionschef nominiert haben.
Sie wisse, dass "wir einen holprigen Start zusammen hatten", sagte von der Leyen in der liberalen Fraktion. Sie sah aber die Möglichkeit, bis zur Europawahl 2024 das EU-Wahlsystem im Sinne des Parlaments zu reformieren. Sie sagte zu, sich bis zur geplanten Abstimmung über ihre Nominierung am 16. Juli um eine entsprechende schriftliche Zusage der Mitgliedstaaten zu bemühen.
Als künftige EU-Kommissionspräsidentin will von der Leyen darüber hinaus einen groß angelegten Bürgerdialog zur Reform Europas unterstützen. Als eines ihrer inhaltlichen Hauptziele nannte von der Leyen das Erreichen von Klimaneutralität 2050. Es sei klar, dass "CO2 einen Preis bekommen muss", sagte sie. Der richtige Weg dafür sei aus ihrer Sicht die Ausweitung des Emissionshandels auf die Bereiche Verkehr und Gebäude.
Mit Blick auf ein soziales Europa sah von der Leyen den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit als zentrales Thema. Sie forderte zudem Gespräche über Mindestlöhne in Europa. Beim Brexit zeigte sich die 60-Jährige bereit, im Falle eines entsprechenden Wunsches von Großbritannien den Austrittstermin nochmals zu verlängern. Mit Blick auf ihre künftige Kommission kündigte von der Leyen an, sie wolle dieselbe Anzahl von Männern und Frauen als Kommissare ernennen.
Besonders stark fiel die Kritik bei den Sozialdemokraten aus, welche nach von der Leyens konservativer EVP die zweitstärkste Fraktion bilden. Er habe sich im Europawahlkampf verpflichtet, beim Kommissionspräsidenten "nur für einen Spitzenkandidaten zu stimmen", sagte Jens Geier als Leiter der deutschen SPD-Delegation, die nicht für von der Leyen stimmen will. "Ich habe nichts gehört, was mich überzeugt, das aufzugeben."
Inhaltlich sei von der Leyen "wolkig geblieben", erklärte Geier weiter. "Konkrete Zusagen sind größtenteils ausgeblieben." Er kritisierte unter anderem, dass von der Leyen beim Kampf für die Rechtsstaatlichkeit nicht auf die "die katastrophale Lage im konservativ regierten Ungarn" eingegangen sei.
Ähnlich äußerten sich die Grünen zu diesem Thema. Zudem habe von der Leyen auch bei Fragen zu Handelsabkommen, Landwirtschaft, Besteuerung oder Klimawandel "keine klaren Antworten" gegeben, erklärte eine Sprecherin der Grünen auf Twitter.
Die Liberalen erklärten dagegen, von der Leyen habe "einen positiven Eindruck hinterlassen". Hauptkritikpunkt hier war, dass die Deutsche sich noch nicht hundertprozentig festlegen wollte, ob die liberale Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in der neuen Kommission denselben herausgehobenen Status wie der sozialdemokratische Spitzenkandidat Frans Timmermans erhalten soll.
Das Europaparlament will nach bisherigem Stand am 16. Juli über die Personalie abstimmen. Nötig für die Wahl von der Leyens ist die absolute Mehrheit der aktuell 747 Mitglieder der EU-Volksvertretung, also 374 Stimmen. (W.Novokshonov--DTZ)