Endgültiges Aus für den INF-Abrüstungsvertrag
Nach mehr als drei Jahrzehnten ist der INF-Abrüstungsvertrag zu atomaren Mittelstreckenraketen beerdigt. Die USA erklärten am Freitag ihren formalen Ausstieg aus dem Abkommen, das sie 1987 mit der damaligen Sowjetunion geschlossen hatten. Das Ende des INF-Vertrags schürt Ängste vor einem neuen globalen Rüstungswettlauf. Russland schlug den USA allerdings ein Moratorium bei der Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen vor.
US-Außenminister Mike Pompeo sagte bei einem Besuch in Bangkok, der Ausstieg der USA aus dem Vertrag "tritt heute in Kraft". Für das Ende des Abkommens wies er Russland die "ausschließliche" Verantwortung zu. Das russische Außenministerium wiederum gab Washington die Alleinschuld: Der INF-Vertrag habe "auf Veranlassung" der USA seine Gültigkeit verloren.
Washington wirft Moskau vor, mit dem neuen russischen Marschflugkörper 9M729 gegen das INF-Abkommen verstoßen zu haben. Diesen Vorwurf erhebt auch die Nato. Moskau weist die Anschuldigungen zurück.
Russland habe sich der Forderung verweigert, das 9M729-System zu vernichten und damit zur vollständigen Einhaltung des INF-Vertrags zurückzukehren, sagte Pompeo. Die Regierung von US-Präsident Donald Trump hatte das Abkommen bereits im Februar gekündigt, erst nach einer sechsmonatigen Auslaufphase wurde der Ausstieg nun aber formal wirksam. Als Reaktion auf die US-Schritte hatte Russlands Staatschef Wladimir Putin seinerseits die Teilnahme an dem Vertrag im Juli ausgesetzt.
Die USA begründeten den Vertragsausstieg auch damit, dass das Abkommen nicht daran beteiligten Staaten wie China freie Hand bei der Entwicklung und Stationierung von Raketen gelassen habe. Pompeo sagte nun, seine Regierung strebe eine "neue Ära der Rüstungskontrolle an, die sich über die bilateralen Verträge der Vergangenheit hinaus bewegt".
Pompeo appellierte an Moskau und Peking, die "Gelegenheit" zu ergreifen, um "tatsächliche Ergebnisse für die Sicherheit unserer Nationen und der ganzen Welt zu erreichen". Auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) plädierte für neue Abrüstungsgespräche. "Ziel muss sein, dass wir in einer Welt leben ohne Nuklearwaffen", sagte er im Bayerischen Rundfunk. In Übereinstimmung mit der US-Regierung forderte Maas, China in die Abrüstungsgespräche einzubeziehen.
Der russische Vize-Außenminister Sergej Riabkow schlug seinerseits laut der Nachrichtenagentur Tass den USA und anderen Nato-Ländern ein Moratorium bei der Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen vor. Wenn die USA "in bestimmten Regionen" keine Waffen stationierten, werde auch Russland darauf verzichten.
Riabkow zog zugleich Nato-Angaben in Zweifel, dass es nach dem INF-Aus keine Pläne zur Stationierung neuer nuklearer Mittelstreckenraketen in Europa gebe. Russland "glaubt" demnach nicht daran. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bekräftigte jedoch, dass die Allianz "einen neuen Rüstungswettlauf" mit Russland vermeiden wolle und keine Stationierung neuer atomarer Raketen auf europäischem Boden plane.
Der einst von US-Präsident Ronald Reagan und dem sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow unterzeichnete INF-Vertrag war ein Meilenstein der Abrüstungsbemühungen in der Schlussphase des Kalten Kriegs. Besonders für Europa stellte das Abkommen eine wichtige Sicherheitsgarantie dar.
Der Vertrag verbot landgestützte Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern, die Atomsprengköpfe tragen können. Dies betraf auf US-Seite unter anderem Raketen vom Typ Pershing II, auf russischer Seite Waffensysteme wie die SS-20.
Nach dem jetzigen Ende des INF-Vertrags zeichnet sich bereits der nächste Streit um ein historisches Abrüstungsabkommen zwischen Washington und Moskau ab: Auch die Zukunft des sogenannten New-Start-Abkommens für atomare Abrüstung ist höchst unklar. Dem Vertrag zufolge muss die Zahl atomarer Sprengköpfe in den jeweiligen Arsenalen deutlich unter dem Stand des Kalten Krieges liegen. Das Abkommen wurde 2010 geschlossen, läuft aber 2021 aus.
(V.Sørensen--DTZ)