
Zukunft von Israels Ministerpräsident Netanjahu nach Anklage ungewiss

Nach der Anklageerhebung gegen Benjamin Netanjahu wegen Korruption ist die politische Zukunft des israelischen Regierungschefs ungewiss. Politische Kommentatoren in Israel spekulierten am Freitag, die neuen Entwicklungen könnten das Ende seiner politischen Laufbahn bedeuten. Nachdem am Donnerstag Anklage gegen Netanjahu erhoben worden war, hatte dessen Rivale Benny Gantz ihn zum Rücktritt aufgefordert. Netanjahu sprach von einem versuchten "Putsch". Einen Rücktritt lehnt er ab.
Israelische Zeitungen sahen die Reaktion Netanjahus als verzweifelte Tat eines Mannes, der längst dem Untergang geweiht sei. "Das Ende ist klar. Die Frage ist nur: Wie schlimm wird der Weg dorthin?", schrieb ein Kommentator der Zeitung "Makor Rischon".
In Tel Aviv gingen am Freitag sowohl Unterstützer als auch Gegner des Ministerpräsidenten auf die Straße. Rund 80 Gegner forderten unter anderem mit Plakat-Aufschriften wie "Der Korrupte soll nach Hause gehen" seinen Rücktritt. Netanjahu-Anhänger antworteten mit Lobgesängen auf den Regierungschef.
Netanjahu ist der erste amtierende Regierungschef Israels, der unter Anklage steht. Er könnte das Parlament nun darum bitten, ihn durch Immunität vor einer Strafverfolgung zu schützen. Rein formal gesehen muss Netanjahu nicht zurücktreten - ein Rücktritt wäre erst bei einer rechtskräftigen Verurteilung zwingend.
Bei der öffentlichen Begründung seiner Entscheidung zur Anklage sprach der Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit von einem "harten und traurigen" Tag für Israel. Dennoch sei es auch ein "wichtiger" Tag, der zeige, dass niemand über dem Gesetz stehe.
Netanjahu wehrte sich mit scharfen Worten gegen die Entscheidung. Die Vorwürfe seien politisch motiviert. "Was hier gerade passiert, ist ein Versuch, einen Putsch gegen den Regierungschef durchzuführen", sagte er. In einem am Freitag veröffentlichten Video kündigte Netanjahu an, die Entscheidung der Justiz "ohne Zweifel" zu akzeptieren - um kurz darauf seine Forderung vom Vortag nach "Ermittlungen gegen die Ermittler" zu bekräftigen.
Gegen den langjährigen Regierungschef wiegen am schwersten die Vorwürfe in der sogenannten Besek-Affäre: Netanjahu wird beschuldigt, der Telekommunikationsfirma Besek Gefälligkeiten im Gegenzug für eine positive Berichterstattung auf der zu dem Konzern gehörenden Nachrichtenwebsite "Walla" gewährt zu haben.
Weitere Vorwürfe beziehen sich auf Luxusgeschenke, die Netanjahu und seine Angehörigen von reichen Persönlichkeiten im Gegenzug für finanzielle und persönliche Vorteile angenommen haben sollen. Netanjahu weist alle Vorwürfe zurück.
Es blieb zunächst offen, ob sein Likud ihn weiter unterstützt. Wichtige Kabinettsmitglieder von Netanjahu, darunter Außenminister Israel Katz und Bildungsminister Rafi Peretz stärkten Netanjahu am Freitag den Rücken.
Gefährlich werden könnte dem Regierungschef allerdings sein langjähriger parteiinterner Widersacher Gideon Saar. Der frühere Minister und jetzige Knesset-Abgeordnete rief zu einer Abstimmung über den Parteivorsitz im Vorfeld einer möglichen erneuten Neuwahl auf. "Ich denke, ich bin in der Lage, das Land zu einen", sagte Saar.
Der International-Crisis-Group-Experte Ofer Zalzberg verwies auf eine "erhebliche Rebellion" im Likud. "Es scheint, als würde der Widerstand gegen Netanjahu in den hochrangigen Reihen der Partei in den kommenden Tagen und Wochen stärker werden", sagte er der AFP.
Ein neuer Chef an der Likud-Spitze könnte den Weg für eine Einheitsregierung mit Gantz’ Mitte-Rechts-Liste Blau-Weiß doch noch freimachen. Nach der vorgezogenen Parlamentswahl im September waren sowohl Netanjahu als auch Gantz an der Regierungsbildung gescheitert. Wenige Stunden vor der Verkündung der Anklageerhebung gegen Netanjahu hatte Präsident Reuven Rivlin deshalb erstmals in der Geschichte des Landes das Parlament mit der Suche nach einem mehrheitsfähigen Ministerpräsidenten beauftragt.
Falls dem Parlament bis zum 11. Dezember keine Regierungsbildung gelingen sollte, müsste Israel eine dritte Parlamentswahl innerhalb eines Jahres ausrufen.
(P.Tomczyk--DTZ)