
Johnson will nach Messerattacke in London vorzeitige Haftentlassungen prüfen

Nach dem offenbar islamistischen Anschlag mit zwei Toten in London will Premierminister Boris Johnson das Prinzip vorzeitiger Haftentlassungen prüfen lassen. Es ergebe "keinen Sinn, wenn Menschen, die wegen terroristischer Straftaten verurteilt wurden, vorzeitig entlassen werden", sagte Johnson am Samstag bei einem Besuch am Tatort. Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte unterdessen die tödliche Messerattacke für sich.
Am Freitag war bekannt geworden, dass der Angreifer bereits 2012 wegen einer terroristischen Straftat verurteilt und vor einem Jahr unter Auflagen freigekommen war. Der 28-jährige Brite Usman Khan hatte zuvor in der Fishmonger’s Hall mit einem Messer zwei Menschen getötet und drei weitere verletzt, bevor er von Passanten auf der London Bridge überwältigt und von Polizisten erschossen wurde.
Das IS-Propagandaorgan Amaq erklärte im Messengerdienst Telegram, der Täter gehöre "zu den Kämpfern des IS" und sei den Aufrufen zu Angriffen auf Bewohner jener Länder gefolgt, die der internationalen Anti-IS-Koalition angehören.
Die Polizei durchsuchte am Samstag zwei Grundstücke in Khans Heimatstadt Stoke-on-Trent und in Stafford in Mittelengland.
Khan war 2012 gemeinsam mit acht weiteren Tätern zunächst zu einer Mindesthaftstrafe von acht Jahren verurteilt worden. Die Gruppe wollte einen Bombenanschlag auf die Londoner Börse verüben und ein Trainingslager für Extremisten in Pakistan einrichten.
Ein Berufungsgericht hob die Urteile gegen Khan und zwei Mittäter im April 2013 jedoch auf und verhängte gegen Khan eine Freiheitsstrafe von 16 Jahren. Laut dem Londoner Polizeisprecher Neil Basu wurde Khan auf Grundlage einer "umfangreichen Liste von Auflagen" freigelassen, an die er sich zunächst gehalten habe.
Einen Tag nach der Attacke stand insbesondere die Frage im Raum, warum Khan nach weniger als sieben Jahren vorzeitig aus der Haft entlassen wurde. Üblicherweise ist dies frühestens nach der Hälfte der Haftzeit möglich. Allerdings könnte die Zeit, die Khan in Untersuchungshaft saß, mit einberechnet worden sein. Der britische Bewährungsausschuss teilte mit, dass er in dem Fall nicht hinzugezogen worden sei. Die Freilassung scheine automatisch erfolgt zu sein.
Khan, der bei dem Angriff eine Sprengstoffattrappe trug, nahm laut Basu unmittelbar vor der Tat an einer Veranstaltung mit dem Titel "Gemeinsam lernen" in der Fishmonger’s Hall, einem historischen Gebäude nördlich der London Bridge, teil. Es handelte sich dabei um eine Veranstaltung der Universität von Cambridge zur Rehabilitierung von ehemaligen Gefängnisinsassen.
Londons Bürgermeister Sadiq Khan hob die Zivilcourage von Passanten hervor, die den Angreifer überwältigt hatten, und lobte ihren "atemberaubenden Heldenmut". Auch Londons Polizeichefin Cressida Dick hob das Eingreifen von Passanten hervor: Im Angesicht der schrecklichen Tat habe sich auch das "Allerbeste" im Menschen und an London gezeigt, sagte sie.
Auf im Kurzbotschaftendienst Twitter verbreiteten Aufnahmen waren mehrere Menschen zu sehen, die den Angreifer zu Boden drückten. Einem Augenzeugen zufolge handelte es sich um ehemalige Gefängnisinsassen, die auf derselben Veranstaltung wie Khan waren.
Einer der Passanten war mit einem Feuerlöscher bewaffnet, ein weiterer mit dem Stoßzahn eines Narwals, der wahrscheinlich in der Fishmonger’s Hall ausgestellt war. Einem Polizisten in Zivil gelang es, dem Angreifer ein großes Messer zu entreißen.
Der Angriff weckte Erinnerungen an den Anschlag vom 3. Juni 2017, als drei Attentäter auf der London Bridge mit einem Lieferwagen in eine Menschenmenge gerast waren und anschließend im angrenzenden Ausgehviertel rund um den Borough Market wahllos auf Menschen eingestochen hatten. Acht Menschen wurden getötet, 48 weitere verletzt. Die Polizei erschoss die drei Attentäter. Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hatte die Tat für sich reklamiert.
(A.Nikiforov--DTZ)