Patent-Aussetzung für Corona-Impfstoffe rückt näher
Entwicklungsländer und Aktivisten fordern sie schon lange - nun rückt im Kampf gegen die Corona-Pandemie eine Aussetzung des Patentschutzes für Impfstoffe näher. Die Europäische Union (EU) zeigte sich am Donnerstag offen für einen Vorstoß der USA, die sich bei der Welthandelsorganisation WTO für eine Ausnahmeregelung beim Patentschutz einsetzen wollen. Hilfsorganisationen, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Afrikanische Union (AU) bejubelten den Schritt Washingtons.
Die USA hatten am Mittwoch völlig überraschend eine Kehrtwende in ihrer Patentpolitik angekündigt. "Das ist eine weltweite Gesundheitskrise, und die außergewöhnlichen Umstände der Covid-19-Pandemie verlangen nach außergewöhnlichen Maßnahmen", erklärte die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai. Die US-Regierung glaube fest an den Schutz geistigen Eigentums. Sie werde sich aber bei der Welthandelsorganisation WTO für eine Ausnahmeregelung bei Corona-Impfstoffen einsetzen, "um diese Pandemie zu beenden".
Dieser Schritt erntete viel Lob und stieß in Europa auf offene Ohren. Brüssel sei bereit, über den Vorschlag der USA zu diskutieren, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag. "Kurzfristig rufen wir jedoch alle impfstoffproduzierenden Länder dazu auf, Exporte zuzulassen", fügte sie offensichtlich mit Blick auf die Regierung in Washington hinzu, die bisher ein Exportverbot für Impfstoffe erlassen hat.
Die mögliche Aussetzung des Patentschutzes wird auch Thema beim EU-Gipfel in Porto am Wochenende sein. Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums in Berlin sagte auf Anfrage, die Beratungen innerhalb der Regierung zu dem Thema dauerten gegenwärtig noch an.
Brüssel hatte bei dem Thema bislang auf die Komplexität der Produktion von Corona-Impfstoffen verwiesen. Nach Angaben von Kommission und Mitgliedstaaten würde es auch nach Aufhebung des Patentschutzes noch Monate oder Jahre dauern, bis andere Firmen tatsächlich produzieren könnten. Deshalb sei beispielsweise ein Ende von Exportverboten der schnellere Weg zur Versorgung aller Länder mit Impfstoff.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte, er sei "absolut dafür", dass der Schutz des geistigen Eigentums bei Corona-Impfstoffen aufgehoben wird. Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte an, dass sein Land " einen solchen Ansatz natürlich unterstützen" würde. Regelrechter Jubel kam aus Afrika: "Der Schritt der US-Regierung wird in die Geschichte eingehen, weil sie das Richtige zur rechten Zeit getan hat", sagte der Chef der AU-Gesundheitsbehörde, John Nkengasong.
WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus schrieb im Onlinedienst Twitter, es handele sich um einen Schritt in Richtung Impfstoff-Gerechtigkeit, "der das Wohlergehen aller Menschen überall in einer schwierigen Zeit in den Vordergrund" stelle. Amnesty International erklärte, US-Präsident Joe Biden habe klar gemacht, "dass die USA das Leben von Menschen über die Gewinne von Pharmaunternehmen stellen".
Kritik kam dagegen aus der Pharmaindustrie: Der Weltpharmaverband IFPMA nannte den US-Vorstoß "enttäuschend"; Aktienkurse von Konzernen rutschten ab.
(Y.Leyard--DTZ)