Deutsche Tageszeitung - Steinmeier-Äußerungen zu Nord Stream 2 sorgen in Ukraine für "Fassungslosigkeit"

Steinmeier-Äußerungen zu Nord Stream 2 sorgen in Ukraine für "Fassungslosigkeit"


Steinmeier-Äußerungen zu Nord Stream 2 sorgen in Ukraine für "Fassungslosigkeit"
Steinmeier-Äußerungen zu Nord Stream 2 sorgen in Ukraine für "Fassungslosigkeit" / Foto: ©

Äußerungen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum deutsch-russischen Pipeline-Projekt Nord Stream 2 haben in der Ukraine für massive Irritation gesorgt. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, warf Steinmeier am Dienstag Geschichtsverzerrung vor, weil der Bundespräsident Nord Stream 2 in einem Zeitungsinterview auch unter Verweis auf die wechselvolle deutsch-russische Geschichte verteidigt hatte. Das Bundespräsidialamt reagierte mit "völligem Unverständnis" auf die Kritik.

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Melnyk warf Steinmeier vor, in dem am Samstag veröffentlichten Interview in der "Rheinischen Post" "kontroverse historische Analogien" gezogen zu haben, um ein "flammendes Plädoyer" für das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 zu halten. Steinmeiers Aussagen seien in der Ukraine "mit Fassungslosigkeit" begegnet worden, erklärte Melnyk am Dienstagnachmittag.

Der ukrainische Botschafter stieß sich insbesondere an der "irreführenden" Vermengung der deutsch-russischen Geschichte "mit den Millionen sowjetischen Opfern des deutschen Vernichtungskrieges". Dieser Vergleich führe dazu, dass über andere Völker der ehemaligen Sowjetunion, "die während der barbarischen NS-Okkupation enorme menschliche Verluste erlitten haben, hinweggesehen wird".

Der Botschafter verwies auf die mehr als acht Millionen ukrainischen Opfer des Zweiten Weltkrieges, unter ihnen 1,5 Millionen Jüdinnen und Juden. Die deutsche Erinnerungspolitik müsse "auf den Prüfstand" gestellt werden, forderte Melnyk mit Blick auf Steinmeiers Äußerungen. Zugleich sprach sich der Diplomat für die Errichtung einer eigenen Gedenkstätte in Berlin für die Millionen ukrainischen Opfer der NS-Besatzungsherrschaft aus.

Steinmeier hatte auf eine Frage der "Rheinischen Post" zum umstrittenen Pipeline-Projekt Nord Stream 2 darauf hingewiesen, dass die Energiebeziehungen "fast die letzte Brücke zwischen Russland und Europa" seien. Beide Seiten müssten "sich Gedanken machen, ob man diese Brücke vollständig und ersatzlos abbricht", sagte Steinmeier.

In diesem Zusammenhang erinnerte der Bundespräsident auch an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion, der sich am 22. Juni dieses Jahres zum 80. Mal jährt, und die 20 Millionen sowjetischen Opfer des Zweiten Weltkrieges. Dies rechtfertige kein Fehlverhalten in der russischen Politik heute, betonte Steinmeier. "Aber das größere Bild dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren. Ja, wir leben in der Gegenwart eines schwierigen Verhältnisses, aber es gibt eine Vergangenheit davor und eine Zukunft danach."

Das Bundespräsidialamt erklärte zur Kritik Melnyks knapp: "Der Text des Interviews spricht für sich."

Seit der Verhaftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny in Russland ist die Kritik an Nord Stream 2 im In- und Ausland lauter geworden. Gegner des Projekts, darunter die USA, verweisen auf die Gefahr einer zu starken Abhängigkeit Europas von russischen Energielieferungen und einer Abkoppelung der Ukraine aus der europäischen Gasinfrakstruktur.

Kritiker argumentieren zudem, die aus dem NS-Vernichtungskrieg resultierende historische Verantwortung Deutschlands müsse nicht nur für die Beziehungen zu Russland gelten, sondern auch für alle anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion sowie osteuropäische Länder wie Polen, das Nord Stream 2 ebenfalls ablehnt.

Das Festhalten der Bundesregierung an Nord Stream 2 hat auch zu Spannungen zwischen Berlin und Kiew geführt. Die Ukraine profitierte bisher als traditionelles Transitland von den russischen Energielieferungen nach Europa.

Die Beziehungen zwischen Kiew und Moskau sind seit der Revolte gegen den von Russland unterstützen ehemaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch auf einem Tiefpunkt. Die Krim-Annexion 2014 und der kurz darauf folgende Ostukraine-Konflikt verschärften die Spannungen zwischen den Nachbarstaaten weiter.

(M.Dylatov--DTZ)

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