Steinmeier erinnert bei Gedenkfeier in Kiew an NS-Kriegsverbrechen in der Ukraine
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei einer Gedenkfeier in Kiew an die NS-Gräueltaten während des Zweiten Weltkriegs erinnert. 80 Jahre nach der Massenhinrichtung von mehr als 33.000 Juden im ukrainischen Babyn Jar durch deutsche Soldaten prangerte Steinmeier auch den erneut wachsenden Antisemitismus in Deutschland an: "Es schmerzt mich und es macht mich zornig, dass - gerade in der Notlage einer Pandemie - alter Hass in neue Verschwörungsmythen gegossen wird."
"Wie sehr wünschte ich mir, sagen zu können: Wir Deutsche haben ein für alle Mal aus der Geschichte gelernt", sagte Steinmeier. "Aber das kann ich nicht." Die "bösen Geister der Vergangenheit" zeigten sich "heute neuem Gewand". Steinmeier betonte: "Für uns Deutsche kann es darauf nur eine Antwort geben: Nie wieder!"
An der Gedenkveranstaltung im Gedenkzentrum Babyn Jar nahm auch Steinmeiers israelischer Kollege Isaac Herzog teil. Er forderte, für die "ganze Menschheit" sicherzustellen, "dass es niemals wieder ein Babyn Jar geben wird". Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete das Massaker von Babyn Jar als "dunkles, hässliches Kapitel in der Weltgeschichte". Babyn Jar sei eine "gemeinsame Tragödie für das jüdische und das ukrainische Volk".
In der Schlucht Babyn Jar bei Kiew erschossen SS-Kommandos am 29. und 30. September 1941 mehr als 33.000 ukrainische Juden. Bis 1943 wurden in dem Gebiet bis zu 100.000 Menschen getötet - Juden, Roma und sowjetische Kriegsgefangene.
"Das Menschheitsverbrechen des Holocaust begann nicht erst in den deutschen Todesfabriken: in Auschwitz, Treblinka, Sobibor, Majdanek, Belzec", betonte Steinmeier. Es habe bereits "auf dem Eroberungsfeldzug Richtung Osten, in Wäldern, am Rande von Ortschaften" begonnen. Der Bundespräsident erinnerte an "weit mehr als eine Million Juden", die dem "Holocaust durch Kugeln in der Ukraine" zum Opfer fiel.
Es sei ein "schwerer Weg" für einen deutschen Bundespräsidenten nach Babyn Jar, betonte Steinmeier. Zugleich sei er aber "dankbar, heute hier zu sein". Die Ukraine sei "auf unserer Landkarte der Erinnerung nur viel zu blass" verzeichnet. Viele der Orte hätten "keinen angemessenen Ort in unserer Erinnerung".
Am Morgen hatte Steinmeier die Stadt Korjukiwka im Norden des Landes besucht, wo im März 1943 während einer der größten SS-Strafaktionen gegen Zivilisten im Zweiten Weltkrieg binnen zwei Tagen mehr als 6700 Männer, Frauen und Kinder ermordet wurden. Dieses Verbrechen sei bisher kaum bekannt.
Der Bundespräsident mahnte, das gemeinsame Erinnern sei wichtig, "um zu erkennen, wohin entfesselter Hass und Nationalismus, Antisemitismus und Rassenwahn führen können". Auch heute noch würden die NS-Verbrechen nachwirken. "Das Leid, das dieser Krieg brachte, wirkt bis heute fort, in so vielen Familien, in so vielen Dörfern und Städten Ihres Landes, der Ukraine", sagte Steinmeier. Ohne ehrliche Erinnerung könne es aber keine gute Zukunft geben.
(S.A.Dudajev--DTZ)