Deutsche Tageszeitung - Seehofer rechtfertigt Abschiebung von mutmaßlichem Amri-Helfer Ben Ammar

Seehofer rechtfertigt Abschiebung von mutmaßlichem Amri-Helfer Ben Ammar


Seehofer rechtfertigt Abschiebung von mutmaßlichem Amri-Helfer Ben Ammar
Seehofer rechtfertigt Abschiebung von mutmaßlichem Amri-Helfer Ben Ammar / Foto: ©

Die schnelle Abschiebung eines möglichen Helfers des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri wirft Fragen auf - nun hat sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hinter die deutschen Behörden gestellt und deren Entscheidung gerechtfertigt. Bilel Ben Ammar sei als Gefährder eingestuft und vollziehbar ausreisepflichtig gewesen, sagte Seehofer am Donnerstag. Auch habe nichts auf eine Beteiligung an dem Attentat hingewiesen. Grüne, FDP und Linke warfen Seehofer jedoch Versagen bei der Aufklärung vor.

Textgröße ändern:

Die Grünen-Obfrau im Amri-Untersuchungsausschuss des Bundestags, Irene Mihalic, sagte der Nachrichtenagentur AFP, Seehofer habe nicht erkennen lassen, dass er die Aufklärung des Anschlags vom Breitscheidplatz "aktiv unterstützen" wolle. Die hastige Abschiebung Ben Ammars sei "mindestens fahrlässig" gewesen.

Der FDP-Obmann im Untersuchungsausschuss, Benjamin Strasser, kritisierte, offensichtlich hätten die Behörden damals kein Interesse gehabt "oder haben es verschludert, das Umfeld und die Netzwerke von Anis Amri genauer zu ergründen". Linken-Obfrau Martina Renner warf dem Innenministerium eine "Blockadestrategie" vor. Ben Ammar habe durchgehend enge Kontakte zu Amri und dessen unmittelbarem Umfeld gehabt und sei daher bei der Frage nach möglichen Hintermännern und Mittätern Amris "hoch relevant".

Ben Ammar wurde laut Seehofer am 24. Dezember 2016 als Gefährder eingestuft. Drei Tage später wurde das Ermittlungsverfahren gegen Amri wegen des Verdachts des Mordes und versuchten Mordes auf Ben Ammar ausgeweitet. Am 3. Januar 2017 wurde Ben Ammar, der laut Seehofer insgesamt zwölf Aliasnamen verwendete, unter dem Verdacht festgenommen, Sozialleistungen erschlichen zu haben.

Die Behörden hätten bei ihrer Entscheidung über eine Abschiebung eine "Güterabwägung" vorgenommen, sagte der Innenminister: So habe Ben Ammars Freilassung angestanden, gleichzeitig galt er als "gefährliche Person", die untertauchen und Straftaten hätte begehen können. Daher könne er die Entscheidung von damals nachvollziehen, Ben Ammar am 1. Februar aus der Untersuchungshaft nach Tunesien abzuschieben.

Zudem hätten zwei Vernehmungen Ben Ammars keine Ansatzpunkte dafür ergeben, "dass er zur weiteren Aufklärung des Anschlags hätte beitragen können oder wollen", sagte Seehofer. Durch die Ermittlungen zu dem Anschlag vom Dezember 2016 mit zwölf Toten habe nicht der Nachweis erbracht werden können, dass Ben Ammar an der Tat Amris beteiligt war. Tatsächlich eingestellt wurden die Ermittlungen gegen Ammar deswegen im Oktober 2017.

Seehofer räumte auf Nachfrage ein, dass er den Aufenthaltsort Ben Ammars "momentan" nicht kenne. Er habe aber dem Untersuchungsausschuss in seinem am Donnerstag übermittelten Bericht über die Rückführung Ben Ammars mitgeteilt, dass sein Haus die Abgeordneten "in jeder Form" unterstütze und mit den verfügbaren Mitteln versuchen werde, den Tunesier ausfindig zu machen. Es gibt Überlegungen, Ben Ammar nachträglich etwa per Video zu vernehmen.

Seehofer widersprach einem "Focus"-Bericht, wonach Ben Ammar abgeschoben worden sein soll, weil er als Informant des marokkanischen Geheimdienstes vor Strafverfolgung geschützt werden sollte. Weder dem Verfassungsschutz noch dem Bundesnachrichtendienst (BND) oder dem Bundeskriminalamt (BKA) lägen Erkenntnisse vor, dass der Tunesier "für oder mit" einem marokkanischen Nachrichtendienst gearbeitet habe, sagte der Innenminister.

Ben Ammar war laut Bundesinnenministerium seit dem 14. Januar 2017 ausreisepflichtig. Die zuständige Ausländerbehörde in Sachsen sei verpflichtet gewesen, diese Ausreisepflicht umzusetzen. Das Bundesinnenministerium unterstützte die Bemühungen, Passersatzpapiere für Ben Ammar in Tunesien zu bekommen. Die Abschiebung des Mannes sei dann "im Einvernehmen" mit den Strafverfolgungsbehörden erfolgt, betonte Seehofer.

(A.Nikiforov--DTZ)

Empfohlen

Ukraine-Krieg: Trump und Putin wollen telefonieren

Vor dem mit Spannung erwarteten Telefonat zwischen US-Präsident Donald Trump und Kreml-Chef Wladimir Putin zum Ukraine-Krieg hat Moskau erklärt, eine diplomatische Lösung weiteren militärischen Einsätzen vorzuziehen. "Es ist natürlich besser, unsere Ziele mit politischen und diplomatischen Mitteln zu erreichen", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag laut russischen Staatsmedien. In dem Gespräch sollte es laut Trump darum gehen, wie ein Ausweg aus dem "Blutbad" gefunden werden kann.

Netanjahu will Hungersnot in Gazastreifen auch "aus diplomatischen Gründen" verhindern

Inmitten der Ausweitung der israelischen Militäroffensive im Gazastreifen hat der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu betont, eine Hungersnot müsse dort auch "aus diplomatischen Gründen" verhindert werden. "Wir dürfen die Bevölkerung nicht im Hunger versinken lassen, sowohl aus praktischen als auch aus diplomatischen Gründen", sagte Netanjahu am Montag in einem Video im Onlinedienst Telegram. Zugleich erklärte Netanjahu, Israel werde Kontrolle über "das gesamte Territorium" des Gazastreifens übernehmen.

Nach Brexit 2020: London und EU einigen sich auf Stärkung der Beziehungen

Neubeginn nach dem Brexit: Mehr als fünf Jahre nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU haben sich London und Brüssel auf engere Beziehungen bei Verteidigung und Handel geeinigt. Mehrere Abkommen seien bei einem Gipfel in London am Montag unterzeichnet worden, erklärte die britische Regierung. Unter anderem wurden ein Sicherheits- und Verteidigungspakt und eine Vereinbarung zu Themen wie Handel, Fischerei und Jugendmobilität beschlossen.

Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder wird Innenminister in Brandenburg

Der bisherige Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder, René Wilke (parteilos), wird neuer Brandenburger Innenminister. Ministerpräsident Dietmar Woidke präsentierte den 40-Jährigen am Montag als Nachfolger der zurückgetretenen bisherigen Amtsinhaberin Katrin Lange (beide SPD) in der Brandenburger Staatskanzlei in Potsdam. Er soll am Donnerstag im Landtag vereidigt werden.

Textgröße ändern: