
Tumultartige Sitzung vor fünfwöchiger Zwangspause des britischen Parlaments

Nach einer stürmischen Sitzung hat sich das britische Parlament in der Nacht zum Dienstag in eine fünfwöchige Zwangspause verabschiedet. Kurz zuvor musste Premierminister Boris Johnson eine weitere Niederlage einstecken: Nachdem gegen seinen Willen ein Gesetz in Kraft getreten war, das einen Brexit ohne Abkommen verhindern soll, scheiterte Johnson auch mit seinem erneuten Antrag auf vorgezogene Neuwahlen. Am Dienstag gingen die Diskussionen um die nächsten Schritte in dem Dauer-Drama weiter.
Nach der neuerlichen Niederlage verkündete der konservative Regierungschef noch einmal, dass er keinesfalls eine Verschiebung des EU-Austritts beantragen werde. Er werde sich beim EU-Gipfel Mitte Oktober mit aller Macht darum bemühen, doch noch ein neues Austrittsabkommen auszuhandeln, sagte Johnson. Eine weitere Fristverlängerung aber werde er nicht beantragen: "Diese Regierung wird den Brexit nicht weiter verzögern."
Wenige Stunden zuvor hatte Königin Elizabeth II. allerdings das vom Parlament verabschiedete Gesetz gegen einen No-Deal-Ausstieg gebilligt. Es sieht vor, dass Johnson in Brüssel eine Brexit-Verschiebung beantragen muss, falls es bis zum 19. Oktober keine Einigung mit der EU auf ein Abkommen geben sollte.
Um sich dieser Vorgabe zu entziehen, wollte Johnson eine vorgezogene Parlamentswahl am 15. Oktober ansetzen, doch verfehlte er die dafür benötigte Zweidrittelmehrheit deutlich. Das Parlament verabschiedete außerdem eine Erklärung, wonach die Regierung sämtliche interne Unterlagen zu den Auswirkungen eines EU-Austritts ohne Abkommen offenlegen muss. Die Opposition geht davon aus, dass die Regierung die Auswirkungen eines solchen Schritts herunterspielt. Die Erklärung ist rechtlich nicht bindend, dürfte aber schwer zu ignorieren sein.
Nach der turbulenten Sitzung wurde das Parlament in eine Zwangspause bis zum 14. Oktober geschickt. Während der Zeremonie, mit der die Sitzungspause eingeläutet wurde, äußerten oppositionelle Abgeordnete ihren Unmut über die umstrittene Maßnahme. Sie hielten Schilder mit der Aufschrift "Zum Schweigen gebracht" hoch und riefen "Schämt euch!".
Auch Parlamentspräsident John Bercow übte Kritik an der verlängerten Sitzungspause. Es handele sich um die längste Auszeit seit Jahrzehnten. Dies sei kein "normaler" Vorgang, betonte Bercow, der die Anordnung von Johnson zuvor als "Verfassungsfrevel" gebrandmarkt hatte.
Am Dienstag traf sich Johnson mit seinem Kabinett, um über die weitere Strategie zu beraten. Britische Medien hatten am Wochenende berichtet, dass er versuchen könnte, nach Schlupflöchern zu suchen, um das Gesetz gegen den harten Brexit zu umgehen. Am späten Nachmittag war zudem ein Treffen mit Arlene Foster von der mit den Tories verbündeten nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) vorgesehen.
DUP-Chefin Foster warnte Johnson im Vorfeld davor, seine Haltung zur Zukunft der Grenze zwischen Nordirland und Irland zu ändern. Dies käme einem Bruch des Vereinigten Königreichs gleich, sagte sie dem Sender Sky News.
Die Zukunft der Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland ist der größte Zankapfel zwischen Brüssel und London: Das mit Johnsons Vorgängerin Theresa May ausgehandelte Austrittsabkommen sieht eine Auffanglösung vor, um bei einem Brexit die Einführung von Grenzkontrollen auf der irischen Insel zu verhindern. Der sogenannte Backstop würde Großbritannien auch nach dem Brexit - wenn es keine andere Vereinbarung gibt - bis auf weiteres in einer Zollunion mit der EU halten.
Dies wird von der DUP und Hardlinern in London abgelehnt; vor allem daran scheiterte Mays Abkommen im britischen Parlament. Eine überparteiliche Gruppe Abgeordneter schlug am Dienstag aber vor, Mays Abkommen nun als Grundlage für einen neuen "pragmatischen Vertrag" mit Brüssel zu nehmen, dem eine Mehrheit des Parlaments zustimmen könnte.
Für den Fall eines neuerlichen Brexit-Aufschubs muss Großbritannien nach den Worten der künftigen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit einem Kommissar in der neuen EU-Kommission vertreten sein.
(S.A.Dudajev--DTZ)