Vermummungsverbot treibt Demonstranten in Hongkong erneut auf die Straße
Nach der Verhängung eines Vermummungsverbots sind in Hongkong am Samstag erneut hunderte, großteils maskierte Anhänger der Demokratiebewegung auf die Straße gegangen. Der U-Bahn-Verkehr wurde vorläufig eingestellt, zahlreiche Banken, Einkaufszentren und Supermärkte blieben geschlossen. Medienberichten zufolge wurde bei den gewaltsamen Ausschreitungen am Freitag erneut ein Demonstrant durch einen Schuss verletzt.
Die Regierung der chinesischen Sonderverwaltungszone hatte am Freitag auf ein Notstandsgesetz aus der britischen Kolonialzeit zurückgegriffen und das Tragen von Masken verboten. Nach der Verkündung protestierten erneut tausende Demonstranten gegen die pekingtreue Regierung. Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften wurden U-Bahn-Stationen verwüstet. Die Aktivisten warfen zudem Fenster pro-chinesischer Geschäfte ein und legten Brände in den Straßen. Die Polizei ging mit Tränengas gegen sie vor.
Im nördlichen Stadtteil Yuen Long wurde ein 14-Jähriger durch einen Schuss verletzt, wie die "South China Morning Post" unter Berufung auf Ärzte berichtete. Im selben Viertel gab ein Polizist in Zivil einen Schuss ab, als er von Demonstranten angegriffen wurde. Nach Angaben der Polizei schlugen die Demonstranten auf den am Boden liegenden Beamten ein und warfen eine Benzinbombe vor seine Füße. Daraufhin habe er geschossen, um sich zu verteidigen, teilte die Polizei mit. Ob der 14-Jährige bei diesem Vorfall verletzt wurde, wollte die Polizei nicht bestätigen.
Am Samstag verurteilte die umstrittene Regierungschefin Carrie Lam in einer Videoansprache die "extrem entsetzliche Gewalt" der Aktivisten. Die Bürger hätten Angst nach dieser "sehr dunklen Nacht". Sie rief die Bevölkerung auf, sich von den "Randalierern" zu distanzieren.
Doch in mehreren Vierteln Hongkongs setzten hunderte Aktivisten am Samstagnachmittag ihre Proteste fort und stellten damit unter Beweis, dass sie trotz des lahmgelegten U-Bahn-Netzes in der Lage sind, sich zu organisieren.
Hosun Lee, einer der Demonstranten im Einkaufsviertel Causeway Bay, sah in dem Vermummungsverbot nur den "ersten Schritt". "Wenn wir nicht aktiv werden und uns wehren, könnte es sein, dass das Jahr 2047 bereits gekommen ist", sagte er der Nachrichtenagentur AFP. 2047 soll Hongkong seinen halbautonomen Status verlieren und vollständig in China eingegliedert werden.
Nicht überall verliefen die Proteste friedlich. Im Stadtteil Sheung Shui nahe der Grenze zu Festlandchina warfen maskierte Demonstranten die Fenster von chinesischen oder mutmaßlich pro-chinesischen Unternehmen ein.
Das U-Bahn-Netz, das täglich vier Millionen Menschen nutzen, wurde vorläufig stillgelegt. Betroffen sei auch die Verbindung zum Flughafen, erklärte der Betreiber. Im Laufe des Tages werde über die Fortdauer der Maßnahme entschieden. Bevor Mitarbeiter des Verkehrsbetriebs zu Reparaturarbeiten an den verwüsteten U-Bahn-Stationen ausrücken könnten, müsse deren Sicherheit gewährleistet sein.
Zudem blieben dutzende Banken und Einkaufszentren geschlossen. In den Supermärkten bildeten sich den ganzen Tag über lange Schlangen, da sich die Bewohner Hongkongs vorsorglich mit Lebensmitteln eindeckten.
UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet zeigte sich "beunruhigt" über die zunehmend gewalttätigen Proteste. "Ich verurteile nachdrücklich Gewalttaten von allen Seiten", sagte sie. Mit Blick auf das Vermummungsverbot betonte sie aber auch, dass jede Einschränkung der Versammlungsfreiheit rechtlich begründet und angemessen sein müsse.
In Hongkong gibt es seit Monaten Massenproteste gegen die wachsende Einflussnahme der Regierung in Peking und die Beschneidung der Bürgerrechte. Die Demonstrationen hatten sich anfänglich gegen ein geplantes Gesetz gerichtet, das Überstellungen von Verdächtigen an Festland-China vorsah. Mittlerweile richten sich die Proteste aber generell gegen die prochinesische Führung in Hongkong und die Einschränkung der Demokratie.
(W.Novokshonov--DTZ)