
Proteste in Algerien nach Bouteflikas Verzicht auf neuerliche Kandidatur

Auch nach dem Verzicht des algerischen Staatschefs Abdelaziz Bouteflika auf eine erneute Kandidatur sind am Dienstag in mehreren Städten tausende Studierende aus Protest auf die Straße gegangen. Die Demonstranten warnten in Sprechchören vor einer "Finte", mit der sich der Präsident und sein Umfeld auf unbestimmte Zeit die Macht sichern wollten. In der Hauptstadt Algier schlossen sich den Studenten Lehrkräfte an. Sie riefen zu friedlichen Protesten auf.
Der 82-jährige Bouteflika, der gesundheitlich schwer angeschlagen ist, hatte am Montag seinen Verzicht auf eine fünfte Kandidatur bekannt gegeben. Die Macht will er zunächst aber nicht abgeben. Die für den 18. April geplante Präsidentschaftswahl wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Zunächst solle ein politischer Reformprozess in Gang kommen, nach dessen Abschluss womöglich Ende des Jahres ein neues Staatsoberhaupt gewählt werde, hieß es.
"Das ist eine List, um Zeit zu gewinnen, die Protestbewegung einzudämmen und Bouteflika durch eine andere Marionette auszutauschen", sagt der Demonstrant Amel, die in Algier Mathematik und Informatik studiert. Für die 19-jährige Journalistikstudentin Ghania Bellal stand fest: "Bouteflika will uns reinlegen. Von Anfang an ging es ihm darum, sein Mandat zu verlängern."
Die Demonstranten schwenken Fahnen und recken Schilder mit einer rot umkreisten und durchgestrichenen "4+" in die Höhe. Damit wird der Ausdehnung von Bouteflikas vierter Amtszeit eine Absage erteilt.
Auf einer Art Wandzeitung an der Place Audin haben die Demonstranten auf Zetteln Forderungen und Wünsche festgehalten - mal lustig, mal poetisch, mal kämpferisch. Es war die Rede von "40 Räubern gegen 40 Millionen (Einwohner), von "verlorener Jugend" unter Bouteflika oder: "Das System wurde durch die Tür vertrieben, über das Fenster kam es wieder zurück."
In Aufrufen in Online-Netzwerken wurde ebenfalls ein "Ende des Systems" gefordert. Demonstrationen mit tausenden Teilnehmern gab es auch in der drittgrößten Stadt Constantine sowie in drei Städten der nördlichen Kabylei: Bejaia, Tizi-Ouzou und Bouira. In der Stadt Annaba im Nordosten gingen Hunderte auf die Straße, während anderswo studentische Vollversammlungen stattfanden.
Die Demonstrationen gelten als erster Testlauf dafür, ob der Schachzug der Führung um Bouteflika der Protestbewegung den Wind aus den Segeln nehmen kann. Bouteflikas Gegner protestieren seit dem 22. Februar fast täglich gegen seine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl.
Der Staatschef regiert das nordafrikanische Land seit 20 Jahren autoritär. Seit einem Schlaganfall im Jahr 2013 hat er sich jedoch weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Kritiker halten den gebrechlichen Staatschef daher für einen Strohmann seines Umfelds.
Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich begrüßte unterdessen über ihren Staatschef Emmanuel Macron Bouteflikas Entscheidung. Während einer Afrikareise rief Macron in Dschibuti aber auch zu einem "Übergang von einer vernünftigen Dauer" auf. Frankreich werde alles tun, um Algerien bei diesem Übergangsprozess "in Freundschaft und Respekt" zu begleiten.
Bei den Demonstranten kam das allerdings schlecht an. Auf einem der Zettel in Algier heißt es: "Hey Frankreich, wir haben unsere Unabhängigkeit allein geschafft, wir haben den Terrorismus allein besiegt, wir werden auch mit dem System alleine fertig." An anderer Stelle schrieb jemand: "Frankreich und andere Länder: Wenn ihr das Übel unterstützt, seid ihr selbst das Übel."
(W.Novokshonov--DTZ)