
Türkei startet neue Offensive gegen syrische Kurdenmiliz

Inmitten scharfer Kritik der Europäer hat die Türkei eine neue Offensive gegen kurdische Kräfte in Nordsyrien begonnen. Das Ziel des Einsatzes gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) sei es, die "terroristische Bedrohung" an der Grenze zu beseitigen, erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch. Während tausende Zivilisten die Flucht ergriffen, kam aus Brüssel, Paris und Berlin scharfe Kritik.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) verurteilte die türkische Offensive "auf das Schärfste". "Die Türkei nimmt damit in Kauf, die Region weiter zu destabilisieren und riskiert ein Wiedererstarken des IS", warnte Maas. Die Offensive drohe zu einer "humanitären Katastrophe" zu führen und müsse sofort beendet werden. Auch die französische Europa-Staatssekretärin Amélie de Montchalin verurteilte "sehr entschieden" die Offensive.
Deutschland und Frankreich beantragten mit Polen, Belgien und Großbritannien für Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrat zu dem Militäreinsatz. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker rief die Türkei im EU-Parlament auf, den Einsatz zu stoppen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg forderte die Türkei zur Zurückhaltung auf und warnte sie, den Kampf gegen die Dschihadisten nicht zu gefährden.
Wie Erdogan erklärte, soll die "Operation Friedensquelle" eine "Sicherheitszone" schaffen, um die Rückkehr syrischer Flüchtlinge zu erleichtern. An der Offensive sind auch tausende Kämpfer der Syrischen Nationalarmee beteiligt. Dies ist ein Zusammenschluss syrischer Rebellengruppen, die bisher als Freie Syrische Armee (FSA) bekannt waren und schon an den beiden früheren türkischen Offensive gegen die YPG beteiligt waren.
Am Nachmittag wurden erste türkische Luft- und Artillerieangriffe auf die Grenzstädte Tal Abjad und Ras al-Ain gemeldet. Dabei seien zwei Zivilisten getötet worden, erklärten die Syrischen Demokratischen Kräfte, die von der YPG dominiert sind. Tausende Zivilisten flohen aus Ras al-Ain, wie eine Aktivistengruppe mitteilte. Amnesty International forderte sichere Fluchtmöglichkeiten für die Zivilbevölkerung aus der Kampfzone.
Die Türkei sieht die YPG als Bedrohung, da sie eng verbunden ist mit den Rebellen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die USA unterstützen die YPG jedoch im Kampf gegen die Dschihadisten. Im August vereinbarte die beiden Nato-Partner die Schaffung einer "Sicherheitszone". Nach einem Telefonat mit Erdogan verkündete US-Präsident Donald Trump am Sonntag überraschend den Rückzug der US-Truppen von der Grenze.
Die Regierung des syrischen Machthabers Baschar al-Assad kündigte an, sich gegen einen türkischen Einmarsch zur Wehr zu setzen. Zugleich rief sie die kurdische Minderheit auf, sich wieder unter ihre Autorität zu begeben. Die Kurden haben seit 2012 mit stillschweigender Duldung Assads eigene Institutionen aufgebaut. Doch will die Regierung inzwischen die Kurdengebiete wieder komplett unter ihre Kontrolle bringen.
Die kurdische Autonomieverwaltung rief Russland auf, bei einem "Dialog" mit der Regierung Assads "die Rolle eines Unterstützers und Garanten" zu spielen. Zuvor hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow gesagt, Moskau wolle sich für Verhandlungen zwischen Damaskus und den Kurden einsetzen. Sie hatten schon vergangenes Jahr erste Gespräche über die Nachkriegsordnung geführt, doch blieben sie ohne Ergebnis.
Der niederländische Außenminister Stef Blok bestellte den türkischen Botschafter ein und rief Ankara auf, "den gewählten Weg nicht weiterzugehen". Der republikanische US-Senator Lindsey Graham warnte Erdogan, der US-Kongress werde ihn die Offensive "teuer bezahlen" lassen. Der russische Präsident Wladimir Putin mahnte Erdogan in einem Telefonat, ihre gemeinsamen Bemühungen für eine politische Lösung in Syrien nicht zu gefährden.
(W.Novokshonov--DTZ)