Deutsche Tageszeitung - Wieder Tote bei regierungskritischen Protesten in Kolumbien

Wieder Tote bei regierungskritischen Protesten in Kolumbien


Wieder Tote bei regierungskritischen Protesten in Kolumbien
Wieder Tote bei regierungskritischen Protesten in Kolumbien / Foto: ©

Einen Monat nach Beginn der massiven Proteste in Kolumbien hat sich die Lage weiter zugespitzt. Bei Demonstrationen in der Millionenstadt Cali wurden am Freitag mindestens zehn Menschen getötet, wie die Stadtverwaltung mitteilte. Präsident Iván Duque kündigte nach der jüngsten Gewaltwelle den Einsatz der Armee in Cali an, dem Epizentrum der Proteste. Unterdessen wuchs die Kritik an der Polizeigewalt gegen Demonstranten.

Textgröße ändern:

Die Konfrontationen in Cali hätten am Freitag fast die Dimension eines "urbanen Kriegs" erreicht, sagte am Tag darauf das für die öffentliche Sicherheit zuständige Mitglied der Stadtverwaltung, Carlos Rojas, im Sender Radio Caracol. Neben den zehn Toten habe es zahlreiche Verletzte gegeben. Deren Zahl präzisierte Rojas nicht.

Nach Angaben der örtlichen Behörden hatten sich die gewalttätigen Konfrontationen in der drittgrößten Stadt Kolumbiens verschärft, nachdem ein Ermittler der Staatsanwaltschaft am Freitag auf eine Menge geschossen hatte, die ihm den Weg versperrt hatte. Durch die Schüsse des Beamten wurden zwei Menschen getötet, der Ermittler wurde anschließend von aufgebrachten Demonstranten getötet. Laut Staatsanwaltschaft war der Beamte während des Vorfalls nicht im Dienst gewesen.

In Videoaufnahmen, die in den Onlinenetzwerken zirkulierten, war zu sehen, wie Zivilisten in der Nähe von Polizisten aus Schusswaffen feuerten. Es sei "nicht hinnehmbar", dass Demonstranten die Stadt "in ein Schlachtfeld verwandeln" wollten, sagte Rojas. Nach seinen Angaben kamen acht der zehn Todesopfer durch Schusswaffen zu Tode.

Seit Beginn der jüngsten Protestwelle in dem südamerikanischen Land vor vier Wochen wurden nach Behördenangaben mehr als 50 Menschen getötet. Weitere mehr als 120 Menschen werden seit Beginn der Proteste vermisst, hinzu kommen etwa 2000 Verletzte.

Präsident Duque kündigte nach einem Sicherheitstreffen in Cali die Entsendung eines militärischen Großaufgebots an. Die Polizei in der Millionenstadt solle "maximal" von den Streitkräften unterstützt werden, erklärte der konservative Staatschef. Duque ordnete die Entsendung von insgesamt 7000 Soldaten in das Departamento Valle del Cauca an, in dem Cali liegt.

Menschenrechtsaktivisten werfen den kolumbianischen Sicherheitskräften allerdings unverhältnismäßige Gewalt gegen die Demonstranten vor. Der Amerika-Direktor von Human Rights Watch, José Miguel Vivanco, forderte von Präsident Duque Maßnahmen der Deeskalation. Unter anderem müsse Staatsvertretern der Einsatz von Schusswaffen gegen Protestierende verboten werden. In Cali sind es besonders die von Demonstranten errichteten Straßensperren, die rigorose Polizeieinsätze auslösen.

Das Auswärtige Amt in Berlin gab eine bedingte Reisewarnung für Kolumbien aus. Die landesweiten Proteste seien "teilweise mit massiv gewalttätigen Ausschreitungen verbunden". Weitere Eskalationen seien nicht auszuschließen, ein Ende der Unruhen bisher nicht absehbar.

In Kolumbien gehen seit vier Wochen immer wieder tausende Menschen aus Wut über die Regierungspolitik auf die Straße. Die Demonstranten fordern bessere Arbeitsbedingungen, eine Reform des Rentensystems, einen besseren Schutz von Menschenrechtsaktivisten und die vollständige Umsetzung des Friedensabkommens mit der linksgerichteten Ex-Guerillabewegung Farc. Die Proteste sind die blutigsten seit dem Friedensabkommen des Jahres 2016.

Bereits 2019 hatte es Massenproteste vor allem junger Menschen gegen Duque gegeben. Während der Corona-Pandemie waren sie dann vorübergehend zum Erliegen gekommen. Die wirtschaftliche Situation vieler Kolumbianer hat sich während der Pandemie noch verschärft: 42,5 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.

Die Gewalt bei den Protesten war auch Thema eines Treffens von US-Außenminister Antony Blinken mit der kolumbianischen Vizepräsidentin Marta Lucía Ramírez am Freitag in Washington. Nach Angaben seines Sprechers bekundete Blinken dabei seine "Besorgnis" über die Todesfälle während der Demonstrationen. Auch habe er das "unbestreitbare Recht der Bürger auf friedlichen Protest" hervorgehoben.

(I.Beryonev--DTZ)

Empfohlen

US-Soldaten in Syrien bei mutmaßlichem IS-Angriff getötet - Trump droht mit Vergeltung

In Syrien sind am Samstag zwei US-Soldaten und ein Übersetzer bei einem Angriff eines mutmaßlichen Mitglieds der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) getötet worden. Drei weitere US-Soldaten seien bei dem Angriff auf eine gemeinsame Patrouille von syrischen und US-Soldaten verletzt worden, teilte das US-Regionalkommando Centcom mit. "Wir trauern um den Verlust von drei großen amerikanischen Patrioten in Syrien", erklärte US-Präsident Donald Trump und drohte mit "sehr ernster Vergeltung".

Gespräche in Berlin über "möglichen Waffenstillstand in Ukraine"

Das diplomatische Ringen um ein Ende des Ukraine-Krieges verlagert sich ab Sonntag nach Berlin: Der US-Sondergesandte Steve Witkoff will sich dort nach Angaben des Weißen Hauses mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und europäischen Staatenlenkern treffen. Nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen führen zunächst die außenpolitischen Berater "unter anderem der USA und der Ukraine" Gespräche "zu einem möglichen Waffenstillstand in der Ukraine".

Zweite Runde der Präsidentschaftswahl in Chile

In Chile findet am Sonntag (ab 8.00 Uhr Ortszeit, 12.00 Uhr MEZ) die zweite Runde der Präsidentschaftswahl statt. In der Stichwahl um die Nachfolge des linksgerichteten Präsidenten Gabriel Boric treten der deutschstämmige Rechtsextreme José Antonio Kast, der Sohn eines Wehrmachtssoldaten, und die Sozialdemokratin Jeannette Jara gegeneinander an. Wichtigste Themen im Wahlkampf waren der Kampf gegen kriminelle Banden und die Einwanderung.

Ungarn fordern Rücktritt Orbans nach Bekanntwerden von Missbrauchsfällen

Nach dem Bekanntwerden von Missbrauchsfällen in staatlichen Kinder- und Jugendeinrichtungen haben in Ungarns Hauptstadt Budapest am Samstag mehr als 50.000 Menschen den Rücktritt von Ministerpräsident Viktor Orban gefordert. Sie riefen Parolen wie "Orban, hau ab!". Zu der Demonstration hatte Oppositionsführer Peter Magyar aufgerufen, dessen Partei Tisza vor der Parlamentswahl im Frühling die Meinungsfragen anführt. Er führte den Protestzug an und trug ein Banner mit den Worten "Lasst uns Kinder schützen".

Textgröße ändern: