
Spanien: Machtpoker mit Madrid vor Unabhängigkeitsreferendum

Machtpoker bis zur letzten Minute: Während die spanische Zentralregierung die Abhaltung des Unabhängigkeitsreferendums in Katalonien nach eigenen Angaben unterband, verteidigten Befürworter dutzende Wahllokale gegen eine Schließung. Regionalpräsident Carles Puigdemont kündigte am Samstag in einem Interview mit Deutsche Tageszeitung an, das Referendum werde wie geplant am Sonntag stattfinden. Zugleich sprach er sich für eine "Vermittlung" in dem Konflikt aus - wie auch immer der von Madrid verbotene Volksentscheid ausgehe.
"Wir werden nicht auf unsere Rechte verzichten", sagte Puigdemont in dem Gespräch. Seine Regierung habe alles vorbereitet, damit die Abstimmung "normal" verlaufen könne. Die Bürger in Katalonien rief der Regionalpräsident zur Gewaltlosigkeit auf.
Zuvor hatte die spanische Regierung das Informatik-Wahlzentrum in Barcelona und mehr als 1300 der gut 2300 Wahllokale in Katalonien unter Einsatz der kasernierten Polizei Guardia Civil schließen lassen. Nach Angaben des Vertreters der spanischen Regierung für Katalonien, Enric Millo, kappten die Polizisten die elektronischen Verbindungen zu den Wahllokalen. Eine Wahl im Internet sowie Online-Auszählungen seien damit nicht mehr möglich.
Die spanischen Einsatzkräfte hatten in den vergangenen Tagen bereits ranghohe katalanische Regierungsmitarbeiter festgenommen sowie Millionen Stimmzettel und sonstige Referendumsunterlagen beschlagnahmt. Die Justiz leitete überdies Ermittlungen gegen mehr als 700 katalanische Bürgermeister ein, die das Unabhängigkeitsreferendum unterstützen. Im Zusammenhang mit dem Volksentscheid stehende Internetseiten wurden auf richterliche Anordnung geschlossen.
Unabhängigkeitsbefürworter hielten am Samstag dutzende Schulen in Katalonien besetzt, damit diese am Sonntag als Abstimmungslokale für das vom spanischen Verfassungsgericht untersagte Referendum genutzt werden können.
Eltern und Schulkinder sowie Anwohner veranstalteten in Schulen und Kulturzentren Sportwettkämpfe, Tänze, Filmvorführungen oder Picknicks, um die Einrichtungen bis zum Abstimmungsbeginn offen zu halten. "Ohne Ungehorsam keine Unabhängigkeit", hieß es auf einem Plakat an einer Schule in Barcelona. Feuerwehrleute und mit Traktoren angerückte Bauern wollten die Wahlbüros am Sonntag schützen.
Die Regionalregierung versicherte, dass 2315 Wahllokale zur Verfügung stünden, davon 207 in Barcelona. Es bildeten sich Komitees zur Verteidigung des Referendums, die zu friedlichen Besetzungen aufriefen.
Die katalanische Polizei Mossos d’Esquadra - sie ist der Regierung in Barcelona unterstellt, aber an Entscheidungen der Justiz gebunden - riegelte am Samstag bereits 1300 Wahllokale ab. Millo zufolge waren davon 163 "friedlich" besetzt. Dort dürften die Menschen heraus, aber nicht hinein. Madrid hat zur Verstärkung der Mossos d’Esquadra 10.000 Polizisten nach Katalonien entsandt. In der Stadt L’Hospitalet de Llobregat nahmen unterdessen 2000 Gegner einer Unabhängigkeit von Spanien an einer Versammlung von Kataloniens Hauptoppositionspartei teil, der liberalen Ciudadanos (Bürger). In Madrid demonstrierten tausende Befürworter der Einheit Spaniens mit spanischen Fahnen vor dem Rathaus. Einige forderten Puigdemonts Inhaftierung. Auch in anderen Städten des Landes gab es Demonstrationen gegen eine Abspaltung.
Der katalanische Regierungssprecher Jordi Turull bezifferte die Zahl der Abstimmungsberechtigten auf 5,3 Millionen und sprach von mehr als 7200 Wahlhelfern. Die spanische Polizei suchte unterdessen immer noch nach den Orten, an denen die Wahlurnen versteckt gehalten wurden.
Madrids verschärfte Gangart brachte in den vergangenen Tagen in Barcelona und anderen Städten hunderttausende empörte Katalanen auf die Straße. Eine Mehrheit der Bewohner von Katalonien wünscht sich laut Umfragen ein ordnungsgemäßes Referendum. Doch über die Loslösung der Region von Spanien sind die Katalanen gespalten.
Katalonien mit seinen etwa 7,5 Millionen Einwohnern ist etwa so groß wie Nordrhein-Westfalen und kommt für etwa ein Fünftel des spanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf. In der wohlhabenden Region im Nordosten Spaniens, in der eine eigene Sprache gesprochen wird, gibt es seit Jahrzehnten Unabhängigkeitsbestrebungen. (U.Beriyev--DTZ)