
Studie: Viele Deutsche sehen Geschlechtergerechtigkeit noch lange nicht erreicht

Fast jeder zweite Deutsche sieht die Geschlechtergerechtigkeit noch lange nicht erreicht. 44 Prozent der Befragten sehen es auch heute noch als Vorteil an, ein Mann zu sein, wie eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos zeigt. Nur zwölf Prozent halten es für vorteilhafter, eine Frau zu sein. Aus der Politik kamen zum Weltfrauentag am Freitag Forderungen nach mehr Entschlossenheit bei der Gleichstellung.
Wie die Befragung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos ergab, ist aber auch mehr als jeder Vierte der Überzeugung, dass das Geschlecht kaum einen Unterschied macht. Rund zwei Drittel gab an, dass das Erreichen von mehr Gleichberechtigung ein wichtiges persönliches Anliegen sei.
Jeder dritte Befragte kritisierte die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen als größtes Problem. Auf Platz zwei rangiert sexuelle Belästigung mit 17 Prozent; sexuelle Gewalt halten 15 Prozent für das wichtigste Problem beim Thema Gleichstellung.
43 Prozent der befragten Männer sind der Ansicht, dass in Deutschland hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter bereits genügend getan wurde. Bei den Frauen liegt dieser Wert bei 28 Prozent.
Die Ergebnisse sind Teil einer weltweiten Onlinebefragung, die Ipsos zusammen mit dem International Women’s Day und dem Global Institute for Women’s Leadership umsetzte. Insgesamt wurden 18.800 Menschen aus 27 Ländern befragt.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte, Chancengleichheit sei "ein Wirtschaftsthema und ein handfester Wettbewerbsfaktor". Ohne die Leistung von Frauen wäre Deutschland nicht Weltspitze. Dennoch seien Frauen in Führungsetagen weiter unterrepräsentiert, verdienten im Schnitt weniger und gründeten seltener eigene Unternehmen. Nötig sei daher, entschlossener daran zu arbeiten, "dass gleiche Teilhabe von Frauen und Männern endlich eine Selbstverständlichkeit wird".
Auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) rief zu verstärkten Anstrengungen auf. "Gleichstellung ist eine Frage der Gerechtigkeit" und "ohne Gleichstellung gibt es keine echte Demokratie", sagte Maas in einer Rede zum Internationalen Frauentag in Berlin.
"Wenn im Deutschen Bundestag heute wieder weniger Frauen sitzen als noch vor 20 Jahren, dann läuft etwas schief", kritisierte der Außenminister. Auch international sorge ihn "der populistische Ruf nach starken Führern" sowie Diffamierungen einer progressiven Gleichstellungspolitik als "Genderwahn".
Familienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte bei einem Treffen mit Müllwerkerinnen in Berlin: "Ich möchte eine Arbeitswelt, in der Frauen in typischen Männerberufen genauso gut arbeiten können wie Männer in typischen Frauenberufen." Frauen sollten überall wie ihre männlichen Kollegen Karriere machen und in Führungspositionen aufsteigen können.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi verwies darauf, dass Frauen neben ihrer Erwerbsarbeit täglich 81 Minuten mehr als Männer unbezahlte Sorgearbeit wie Pflege oder Kinderbetreuung leisteten. Dies spiegele sich "weder in der Anerkennung der unbezahlten noch in der Vergütung der bezahlten Sorgearbeit" wider, erklärte Verdi-Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger.
"Es muss zu einer Umverteilung dieser Aufgaben zwischen den Geschlechtern kommen", forderte Nutzenberger. "Männer müssen mehr in die Verantwortung."
Für die Sozialverbände ist eine echte Gleichberechtigung noch lange nicht in Sicht. Besonders im Europawahljahr komme es darauf an, ein starkes Zeichen für Frauenrechte und Gleichstellung zu setzen, forderte Edda Schliepack vom Sozialverband Deutschland (SoVD). Die Diakonie-Sozialexpertin Maria Loheide erklärte: "Echte Gleichberechtigung braucht mehr als einen Feiertag am 8. März."
Die Sozialexpertin beim Paritätischen Gesamtverband, Marion von zur Gathen, forderte unter anderem mit Blick auf das Werbeverbot für Abtreibungen, den Frauenrechten mehr Geltung zu verschaffen. Auch die Zunahme von offen frauenfeindlichen Beiträgen im Bundestag sowie in den Medien gebe Anlass zur Sorge.
(M.Dylatov--DTZ)