Deutsche Tageszeitung - Opposition und Sozialverbände alarmiert wegen fehlender Erzieher

Opposition und Sozialverbände alarmiert wegen fehlender Erzieher


Opposition und Sozialverbände alarmiert wegen fehlender Erzieher
Opposition und Sozialverbände alarmiert wegen fehlender Erzieher / Foto: ©

Die von der Bertelsmann-Stiftung ermittelte Zahl von mehr als 100.000 fehlenden Fachkräften in Kindergärten und Kitas hat Opposition und Sozialverbände alarmiert. Übereinstimmend forderten sie am Donnerstag einen politischen Kraftakt für mehr Betreuungspersonal. Sowohl der Personalstand als auch die Zahl der betreuten Kleinkinder erhöhte sich in den vergangenen Jahren dabei aber bereits erheblich.

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Die in Gütersloh ansässige Bertelsmann-Stiftung veröffentlicht jährlich das Monitoring. Den aktuellen Zahlen zufolge kann nur mit mindestens 106.500 Fachkräften zusätzlich der Betreuungsschlüssel in Kitas auf drei Kinder pro pädagogische Fachkraft und in Kindergärten auf 7,5 Kinder pro Fachkraft sinken. Aktuell ist demnach in Kitas eine Fachkraft für rechnerisch 4,2 Kinder zuständig, in Kindergärten für 8,9 Kinder.

Die Studie ergab für die vergangenen Jahre zugleich aber erhebliche Fortschritte bei der Personalausstattung. Mit dem Kitaausbau sei die Zahl beim pädagogischen Personal von 2008 bis 2018 um 54 Prozent von 379.146 auf 582.125 gestiegen, auch der Betreuungsschlüssel verbesserte sich.

Gleichzeitig gibt es aber auch mehr Kinder, die Betreuungsplätze benötigen. Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte, wurden Anfang März 818.500 Kinder unter drei Jahren in einer Tagesstätte oder bei Tageseltern betreut, 28.900 mehr als ein Jahr davor. Damit seien 34,3 Prozent der unter Dreijährigen betreut worden, nach 33,6 Prozent vor einem Jahr.

Die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen, Katja Dörner, nannte die gelungene Aufstockung des Personals ausdrücklich positiv. Mit dem sogenannten Gute-Kita-Gesetz der Bundesregierung sei aber die Chance verpasst worden, bundesweit einheitliche Qualitätsstandards bei der Personalausstattung zu bekommen. Auch die Fachkräfteoffensive von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) sei "nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein".

Dörner forderte "einen gemeinsamen Kraftakt von Bund, Ländern und Kommunen". Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch erklärte ebenfalls, das Gute-Kita-Gesetz halte nicht, was es verspreche. Neue Erzieher würden von den derzeitigen Bedingungen abgeschreckt. Der kinder- und jugendpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Matthias Seestern-Pauly, forderte bundeseinheitliche Mindeststandards. Die massiven Unterschiede zwischen den Ländern seien nicht hinnehmbar.

Das Deutsche Kinderhilfswerk forderte mehr Tempo bei der Verbesserung der Kitaqualität. Dazu seien sowohl mehr Geld als auch deutschlandweit einheitliche Qualitätsstandards nötig. Es gehe viel zu langsam bei der Verbesserung des Personalschlüssels voran, kritisierte Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Kinderhilfswerks.

Der Sozialverband AWO Bundesverband forderte, die Ausbildungs- und Beschäftigungssituation von Erziehern massiv zu verbessern. Das Gute-Kita-Gesetz und die Fachkräfteoffensive seien nur ein Anfang. Nötig sei eine Vergütung der Auszubildenden, das Ausbildungssystem müsse insgesamt durchlässiger werden und Aufstiege ermöglichen.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnte vor einem Betreuungsnotstand, falls nicht zügig die Weichen für bessere Rahmenbedingungen im Erzieherberuf gestellt werden. Nach Berechnungen des Verbands ist wegen steigender Geburtenzahlen und mehr Nachfrage nach Betreuungsplätzen mittelfristig mindestens eine Million neuer Betreuungsplätze nötig. Die Bildungsgewerkschaft GEW forderte neben guter Bezahlung auch gute Arbeitsbedingungen.

Regional gibt es bei der Betreuung deutliche Unterschiede. Während in Sachsen-Anhalt 58,2 Prozent der Kinder unter drei Jahren betreut wurden, waren es in Nordrhein-Westfalen nur 28,2 Prozent und in Bremen nur 28,4 Prozent.

Die Bertelsmann-Stiftung konstatierte auch bei der Personalausstattung regional erheblich unterschiedliche Entwicklungen. In Bremen oder Thüringen stagnierte oder verschlechterte sich die Personalausstattung demnach, in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Hamburg habe es ausgehend von einem ungünstigen Ausgangsniveau erhebliche Verbesserungen gegeben.

Trotz des Qualitätsausbaus der vergangenen Jahre hingen die Bildungschancen der kleinen Kinder aber weiterhin stark vom Wohnort ab. So sei in Mecklenburg-Vorpommern eine Fachkraft im Kindergarten rechnerisch für 13,2 Kinder zuständig, in Baden-Württemberg aber nur für sieben Kinder. Im Bereich der Krippen komme in Sachsen eine Fachkraft auf 6,2 Kinder, in Baden-Württemberg auf drei Kinder.

(A.Nikiforov--DTZ)