
Vor Fristablauf in Israel keine neue Regierung in Sicht

In Israel bleibt eine Regierungsbildung weiter ungewiss: Kurz vor Ablauf einer Frist für Ex-Armeechef und Parlamentspräsident Benny Gantz wies Präsident Reuven Rivlin dessen Antrag auf mehr Zeit für die Regierungsbildung zurück. Rivlin habe Gantz wissen lassen, dass die Frist "unter den gegenwärtigen Umständen" nicht verlängert werden könne, teilte das Präsidentenbüro am Sonntag mit. Die Frist für die Regierungsbildung läuft am Montag um Mitternacht ab.
Gantz war nach der Parlamentswahl im März vor knapp vier Wochen von Rivlin mit der Regierungsbildung beauftragt worden. Seitdem verhandelt er mit seinem ehemaligen Rivalen, Regierungschef Benjamin Netanjahu, über die Bildung einer Einheitsregierung. Bislang konnten sich beide Seiten aber nicht einigen.
Am Samstag bat Gantz dann den Präsidenten um zwei Wochen mehr Zeit. Er glaube, "dass wir kurz vor der Unterzeichnung einer Vereinbarung stehen", erklärte Gantz’ Liste Blau-Weiß. Auch die israelischen Medien berichteten, es gebe Fortschritte bei den Verhandlungen. In der Erklärung des Präsidenten hieß es dagegen, Netanjahu habe im Gespräch mit Rivlin nicht bestätigt, dass die Gespräche kurz vor dem Abschluss stünden. Netanjahus Likud und Blau-Weiß erklärten sich unterdessen weiter gesprächsbereit.
Gantz’ Aussichten für die Bildung einer stabilen Regierung waren angesichts der tiefen Spaltung des Anti-Netanjahu-Lagers von Beginn an eher schlecht. Ursprünglich hatte er eine Beteiligung an einer Regierung mit dem unter Korruptionsanklage stehenden Netanjahu abgelehnt. Angesichts der Coronavirus-Pandemie sprachen sich aber beide für "eine nationale Notstandsregierung zur Bewältigung der Corona-Krise" aus.
Angesichts des bevorstehenden Fristablaufs bestand Gantz zuletzt nicht mehr auf dem Posten des Ministerpräsidentenen. Stattdessen soll er sich für eine Einigung eingesetzt haben, bei der Netanjahu auf absehbare Zeit weiter den Regierungschef stellt, den Posten dann aber an Gantz abgeben könnte.
Rivlin erklärte, sollte bis Montag um Mitternacht keine Einigung erzielt sein, werde er das Parlament beauftragen, einen Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten zu nominieren. Das Netanjahu-Lager verfügt derzeit über 59 der 120 Sitze in der Knesset. Es ist daher denkbar, aber nicht sicher, dass das Parlament Netanjahu 14 Tage Zeit für eine Regierungsbildung gibt.
Netanjahus konservativer Likud erklärte am Sonntag, weiterhin offen für eine Einheitsregierung zu sein. Die Partei forderte Rivlin aber auch auf, Netanjahu volle vier Wochen zur Regierungsbildung einzuräumen. Der Likud verwies darauf, dass der Präsident sowohl Netanjahu als auch Gantz bereits nach der Wahl im September die Chance zur Regierungsbildung gegeben hatte und dies auch jetzt tun solle.
Israel steckt seit mehr als einem Jahr in einer politischen Krise. Die Wahl vom 2. März war die dritte Parlamentswahl binnen eines Jahres, die keine klare Regierungsmehrheit brachte - nach den Wahlen im April 2019 und September waren Koalitionsverhandlungen jeweils gescheitert. Angesichts der Corona-Pandemie gibt es nun Forderungen aus dem gesamten politischen Spektrum, eine Einheitsregierung zu bilden, auch wenn dies nur für kurze Zeit sei.
Der Politikprofessor Emmanuel Navon von der Universität Tel Aviv sagte der Nachrichtenagentur AFP, eine Einheitsregierung bleibe "die wahrscheinlichste Option". Dennoch seien mehrere Szenarien denkbar, darunter auch eine vierte Parlamentswahl.
Netanjahu ist der dienstälteste Regierungschef in der Geschichte Israels und der erste, der im Amt angeklagt wurde. Wegen der Corona-Pandemie wurde sein Korruptionsprozess zuletzt aber verschoben. Kritiker werfen Netanjahu vor, alles zu tun, damit die Anklage verworfen wird. Er könne deshalb auf eine vierte Parlamentswahl drängen - in der Hoffnung, letztlich eine parlamentarische Mehrheit zu bekommen. Diese wiederum könnte dann ein Gesetz durchbringen, das ihm politische Immunität verleiht.
Navon zufolge könnte Netanjahu bei einer weiteren Wahl "der große Gewinner" sein. Dies sei unter anderem wegen guter Umfragewerte wegen seines Umgangs mit der Pandemie denkbar.
(A.Nikiforov--DTZ)