
Gutachten: Steuerliche Begünstigung gegen Mitgliederschwund bei Gewerkschaften

Der Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften könnte laut einem Gutachten durch eine steuerliche Begünstigung umgedreht werden. Die am Dienstag von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichte Rechtseinschätzung schlägt einen speziellen Steuerfreibetrag für Gewerkschaftsmitglieder vor. Dadurch hätten Arbeitnehmer einen finanziellen Anreiz, in Gewerkschaften einzutreten. Tarifgebundene Unternehmen könnten wiederum Gewerkschaftsmitglieder mit dem Argument eines höheren Nettolohns anlocken.
Nach Einschätzung des Gutachters, des Münchner Juraprofessors Martin Franzen, könnte der Steuerfreibetrag das drei- bis vierfache des durchschnittlichen Gewerkschaftsbeitrags betragen. Das wären 1300 bis 1700 Euro pro Jahr. Für den Staat bedeute das jährliche Steuerausfälle in Höhe von 1,2 bis 1,6 Milliarden Euro. Franzens Ansicht nach wäre das gerechtfertigt, um der "überragenden Bedeutung der Tarifautonomie für die Wirtschafts- und Sozialordnung" Rechnung zu tragen.
Diese sei nämlich in Gefahr, weil die Gewerkschaften in der Vergangenheit viele Mitglieder verloren hätten. So sei der Organisationsgrad der deutschen Arbeitnehmer von 18,9 Prozent im Jahr 2002 auf 15,6 Prozent 2014 gefallen. Das schwäche die Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen, weil sie weniger Mitglieder etwa für Streiks mobilisieren können.
Gleichzeitig gebe es kaum Anreize, neu in Gewerkschaften einzutreten, denn von den Tarifverträgen profitierten in der Regel alle Beschäftigten der tarifgebundenen Unternehmen und nicht nur die Mitglieder. Eine Bevorzugung von Gewerkschaftsmitgliedern sei gesetzlich nur begrenzt erlaubt. Dabei müssten sich die Arbeitnehmer gegenüber der Geschäftsführung außerdem als Gewerkschaftsmitglied offenbaren, wodurch Repressionen drohen könnten.
Bei Franzens Lösung ist das nicht der Fall, wie die Böckler-Stiftung herausstellte. Hier könnte der einzelne Arbeitnehmer die Steuerbefreiung einfach im Rahmen seiner Steuererklärung geltend machen. Er müsste dazu eine Bescheinigung über die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft vorlegen sowie die Entgeltabrechnungen, aus denen hervorgeht, ob der Arbeitgeber tarifgebunden ist.
(M.Dorokhin--DTZ)