
Forderungen nach sofortigem Abschiebestopp nach Afghanistan

Sozialverbände und Menschenrechtsorganisationen fordern nach einer neuen Studie zur Situation von abgeschobenen Geflüchteten einen sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan. Laut einer am Freitag von der Diakonie und Brot für die Welt veröffentlichten Untersuchung drohen abgeschobenen Afghanen "Gefahr für Leib und Leben, Verelendung und Verfolgung". Die beiden Verbände und auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl verlangten deshalb von der Politik, Abschiebungen in das Land sofort zu stoppen.
Die Sozialwissenschaftlerin und Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann kommt laut Diakonie in ihrer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass abgeschobenen Afghanen wegen ihrer Flucht nach Europa "Verrat, Verwestlichung, unmoralisches Verhalten oder die Abkehr vom Islam" vorgeworfen werden. Auch die Familien von Rückkehrern seien gefährdet. Vor diesem Hintergrund fehle den Rückkehrern vielfach das überlebenswichtige familiäre Netz.
Die Studie "Erfahrungen und Perspektiven abgeschobener Afghanen im Kontext aktueller politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen Afghanistans" entstand im Auftrag der Diakonie Deutschland, Brot für die Welt und der Diakonie Hessen. Die Untersuchung beruht unter anderem auf den Erfahrungen von 113 der 908 zwischen Dezember 2016 und März 2020 aus Deutschland abgeschobenen Afghanen. Bis auf einen Betroffenen haben den Angaben zufolge alle bekannten Abgeschobenen das Land wieder verlassen oder planen dies. Zwei von ihnen haben demnach Suizid begangen.
"Wir gefährden sehenden Auges das Leben dieser Menschen durch Abschiebungen nach Afghanistan und setzen sie der Gefahr lebensbedrohlicher Verletzungen und Verelendung aus", erklärte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Dies sei mit der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar. "Wir fordern die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Bundesländern einen generellen, bundesweiten Abschiebestopp nach Afghanistan zu beschließen." Ein für Dienstag geplanter Abschiebeflug müsse gestoppt werden.
Die Präsidentin von Brot für die Welt, Dagmar Pruin, forderte, die "eskalierende Dynamik der massiven Verelendung der Bevölkerung und die Sicherheitslage" müssten zu einer Neubewertung auch des Auswärtigen Amts führen. Es sei nun erstmals nach umfangreicher Recherche belegt, dass die meisten Abgeschobenen erneut geflohen seien und sich in "verzweifelter Lage in Ländern wie Iran, Pakistan, Türkei und Indien" befänden. Der derzeitige Nato-Truppenabzug aus Afghanistan drohe zudem die Sicherheitslage weiter zu verschärfen.
Auch Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt verwies auf die Folgen des Truppenabzugs: "In eine zusehends eskalierende Lage, bei der die Taliban mit Terror und Attacken den Abzug der Nato begleiten, darf niemand abgeschoben werden." Die westlichen Truppen würden evakuiert und in Sicherheit gebracht, gleichzeitig solle in ein Kriegs- und Krisengebiet abgeschoben werden, in dem sich die Situation täglich zuspitze. "Das kann und darf nicht sein", erklärte Burkhardt. Pro Asyl rief zusammen mit anderen Organisationen für Samstag zum Protest gegen die Abschiebungen nach Afghanistan auf.
(I.Beryonev--DTZ)