
Beobachtungsstelle fordert von Europa Hilfe bei Strafverfolgung von IS-Kämpfern

Der Chef der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, hat von Europa eindringlich Hilfe bei der Strafverfolgung von Kämpfern der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) gefordert. "Wenn diese Leute, die Verbrechen begangen haben, straffrei bleiben, wird das Kriegsverbrecher ermutigen, weiterzumachen", sagte Rahman am Mittwoch in Berlin. Die autonome kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien werde die Verdächtigen "nicht aus eigener Kraft vor Gericht bringen".
Rahman äußerte sich vor Journalisten in Berlin, wo er auch die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Bärbel Kofler, treffen und Gespräche im Bundestag führen wollte. Seine Äußerungen auf Arabisch wurden von einem Experten der Gesellschaft für bedrohte Völker übersetzt.
Der Chef der Beobachtungsstelle schlug die Einrichtung eines internationalen Gerichts in Nordsyrien vor, um IS-Kämpfern den Prozess zu machen. Zuvor müsste Europa darauf hinwirken, dass die Türkei nicht in Nordsyrien angreife, betonte er. Wenn die Region stabil sei, könnte ein internationales Gericht ins Leben gerufen werden.
Die Türkei betrachtet die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Nordsyrien als Bedrohung, da die Miliz eng mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verbunden ist, die seit Jahrzehnten gegen den türkischen Staat kämpft. Ankara ist bereits wiederholt in Nordsyrien gegen die YPG vorgegangen und droht seit Monaten mit einer erneuten Militärintervention östlich des Euphrats.
Der Chef der Beobachtungsstelle warnte davor, den IS nach der absehbaren Einnahme seiner letzten Bastion in Baghus für besiegt zu halten. "Der IS hat Mengen von Geld und viele schlafende Zellen, die aktiviert werden können", sagte Rahman.
Das größte Flüchtlingslager Al-Hol, in das seit Dezember 63.260 Menschen aus Baghus geflohen seien, sei eine "tickende Bombe". Die meisten Menschen dort seien Familienmitglieder von IS-Kämpfern, die sich weiter zur Dschihadistenmiliz bekennen. "Sie sagen vor laufender Kamera, der IS werde sich zurückmelden, der Kampf gehe weiter."
Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) haben seit Dezember laut Beobachtungsstelle 8300 IS-Kämpfer gefangen genommen, darunter 1400 Europäer. Wenn der IS zerschlagen sei und die USA sich zurückziehen, könnten die kurdisch dominierten SDF nicht selbst "das Problem lösen". Es sei ein "großer Fehler" zu denken, der IS sei mit der Schlacht von Baghus besiegt. "Der IS wird die Menschen vor Ort und in Europa wieder bedrohen."
Rahman machte Europa für die Lage mitverantwortlich. Die ausländischen IS-Kämpfer seien mit europäischen Ausweisen nach Syrien gezogen, sagte er.
Der Chef der Beobachtungsstelle begrüßte die vor einem Monat erfolgte Festnahme von zwei syrischen Ex-Geheimdienstmitarbeitern in Deutschland. Die Bundesanwaltschaft legt ihnen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Beteiligung an Folter zur Last. "Diese Leute müssen zur Rechenschaft gezogen werden", betonte er.
Die in Großbritannien ansässige Beobachtungsstelle bezieht ihre Informationen von Aktivisten vor Ort. Ihre Angaben sind von unabhängiger Seite kaum zu überprüfen. Nach Angaben von Rahman arbeiten für die Organisation in Syrien 236 Menschen aller verschiedenen religiösen Gruppen des Landes. Er selbst bezeichnet sich als "Gesicht" der Beobachtungsstelle.
(P.Tomczyk--DTZ)