
Zum ersten Jahrestag der "Gelbwesten"-Bewegung flammt Gewalt wieder auf

Bei dem Versuch, der "Gelbwesten"-Bewegung in Frankreich zu ihrem ersten Jahrestag neuen Schwung zu verleihen, ist in Paris die Gewalt wieder aufgeflammt. In einigen Vierteln der französischen Hauptstadt wurden am Samstag Autos umgestoßen, Mülleimer in Brand gesetzt und Bushaltestellen verwüstet. In anderen Landesteilen blockierten "Gelbwesten" Straßen und Kreuzungen, um ihre Forderung nach weiteren Reformen zu bekräftigen. Mehr als hundert Menschen wurden festgenommen.
Am frühen Nachmittag eskalierte in Paris die Lage an der Place d’Italie, wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP beobachteten. Polizisten gingen mit Tränengas gegen Demonstranten vor und versuchten zeitweilig vergeblich, kleine, sehr mobile Gruppen von teilweise vermummten Randalierern auseinanderzutreiben. Demonstranten wurden verletzt, Feuerwehrleute an der Arbeit gehindert.
Mehrere Dutzend vermummte, schwarz gekleidete Demonstranten zerstörten die Türen eines Einkaufszentrums auf dem Platz sowie die Fensterscheiben eines Hotels. Die Sicherheitskräfte setzten mehrfach Wasserwerfer gegen die Randalierer ein.
Die Polizeipräfektur kritisierte im Kurzbotschaftendienst Twitter "die skandalöse Haltung der Demonstranten, die Feuerwehrleute mit Pflastersteinen bewerfen und ihr Eingreifen auf der Place d’Italie verzögern".
Wegen der Gewalt und der Ausschreitungen untersagte die Polizei eine für den Nachmittag angekündigte Demonstration, die an der Place d’Italie beginnen sollte. Am Nachmittag kehrte wieder Ruhe auf dem Platz ein. Bis 18.00 Uhr wurden in Paris nach Angaben des Polizeipräfekten 113 Menschen festgenommen.
Im Nordwesten von Paris griffen Sicherheitskräfte in der Nähe der Porte de Champerret ein, als mehrere dutzend "Gelbwesten" kurzzeitig die Stadtautobahn besetzten. "Das wird knallen, das wird knallen", skandierten die Demonstranten. "Wir sind da, auch wenn Macron das nicht will", riefen sie an die Adresse von Staatspräsident Emmanuel Macron.
Mehrere Metro-Stationen waren geschlossen, die Prachtmeile Champs Elysées war für Demonstranten gesperrt. Dort blieb es am Samstag zunächst ruhig. Dafür herrschte zwischenzeitlich eine angespannte Lage auf der Place de la Bastille, wo ein Demonstrationszug von Sicherheitskräften gestoppt wurde, wie eine Journalistin von AFP berichtete.
Er sei nach Paris gekommen, "weil wir keine Antwort von Macron haben, außer völlige Geringschätzung", sagte der aus Dijon stammende Demonstrant John. Die Steuern und die Kraftstoffpreise würden weiter steigen. "Wir werden weiter demonstrieren, bis sich etwas bewegt", sagte er.
Im Südosten des Landes wurden mehrere Kreuzungen besetzt, ebenso in der Normandie, in Caen, Rouen und in der Bretagne. Ausschreitungen gab es in Bordeaux und in Lyon. Landesweit hatte die Bewegung für dieses Wochenende 270 Blockade-Aktionen an Kreisverkehren und auf Straßen angekündigt.
Die "Gelbwesten" hofften anlässlich des ersten Jahrestages wieder auf größeren Zulauf für ihre Bewegung. Zum ersten landesweiten Protesttag am 17. November 2018 waren nach offiziellen Angaben mehr als 280.000 Demonstranten in gelben Warnwesten auf die Straßen geströmt, um gegen hohe Kraftstoffpreise und soziale Ungleichheit vorzugehen. Nach Krawallen in Paris sah sich Präsident Macron zu milliardenschweren Zusagen gezwungen. Zuletzt ließ die Beteiligung an den Protesten deutlich nach.
Ihr Hauptziel haben die "Gelbwesten" nicht erreicht: Den Rücktritt Macrons, der für sie ein "Präsident der Reichen" ist. Der Staatschef hat als Reaktion auf die Proteste Zugeständnisse gemacht, welche die Regierung auf 17 Milliarden Euro beziffert. Dazu zählen eine Senkung der Einkommensteuer und ein höherer Mindestlohn. Die "Gelbwesten" kritisieren, davon sei fast nichts bei den sozial Benachteiligten angekommen.
(A.Nikiforov--DTZ)