Deutsche Tageszeitung - EU-Gipfel gewährt Briten Aufschub beim Brexit

EU-Gipfel gewährt Briten Aufschub beim Brexit


EU-Gipfel gewährt Briten Aufschub beim Brexit
EU-Gipfel gewährt Briten Aufschub beim Brexit / Foto: © AFP

Mit einem neuen Zeitplan für den Austritt Großbritanniens aus der EU haben die Staats- und Regierungschefs einen Chaos-Brexit am 29. März voraussichtlich abgewendet. Nach stundenlangen Beratungen legte der EU-Gipfel den Briten in der Nacht zu Freitag zwei Optionen für eine Verschiebung des Brexit vor. Premierministerin Theresa May nahm das Angebot an und reiste umgehend nach London zurück, wo sie mit Nachdruck um die Unterstützung des Unterhauses werben wollte.

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Die Entscheidung über den weiteren Verlauf liegt nun bei den Briten. Eine wichtige Weichenstellung soll bereits kommende Woche erfolgen: Dann soll das Unterhaus nach zwei Nein-Voten zum dritten Mal über den Austrittsvertrag mit der EU abstimmen.

Sollte sich diesmal eine Mehrheit für das Abkommen finden, wollen die übrigen 27 EU-Staaten den Briten einen Aufschub bis zum 22. Mai - dem Tag vor dem Start der Europawahl - gewähren, um einen geordneten Austritt vorzubereiten.

Sollte das Unterhaus den Vertrag abermals ablehnen, kommt der 12. April als wahrscheinlicher neuer Brexit-Stichtag ins Spiel. Spätestens dann muss Großbritannien entscheiden, ob es ohne Abkommen austritt und somit einen harten Bruch mit der EU vollzieht - oder ob es noch einmal an der Europawahl Ende Mai teilnimmt und einen längeren Aufschub des Austrittsdatums beantragt.

Der Beschluss des EU-Gipfels ermöglicht sehr unterschiedliche Szenarien: Sie reichen von einem ungeordneten Austritt im April bis hin zu einem noch längeren oder gar dauerhaften Verbleib in der EU.

Premierministerin May kündigte an, nach ihrer Rückkehr nach London am Freitag "hart um Unterstützung zu werben, um das Abkommen im Parlament durchzubringen". Eine Teilnahme ihres Landes an der Europawahl - und damit einen längeren Verbleib in der EU - wolle sie vermeiden.

May hatte ihre EU-Kollegen ursprünglich um einen Aufschub bis Ende Juni gebeten. Wegen der anstehenden Europawahl wollte der EU-Gipfel die Entscheidung über den Brexit aber nicht so lange hinauszögern.

EU-Spitzenpolitiker äußerten am Freitag die Hoffnung auf eine neue Dynamik im britischen Unterhaus. Belgiens Premierminister Charles Michel rief die Abgeordneten in London zu einer "rationalen Entscheidung" auf. Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel bezifferte die Chancen auf eine Zustimmung des Parlaments auf "fifty-fifty".

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem "sehr intensiven, aber auch sehr erfolgreichen Abend". Der EU-Gipfel habe May mit seinem Beschluss unterstützen wollen. Die EU sei dabei weiterhin "auf alle Szenarien vorbereitet".

Eine zentrale Rolle bei den Beratungen der EU-Chefs kam dem Termin der Europawahlen vom 23. bis 26. Mai zu. Sollte Großbritannien darüber hinaus in der EU bleiben, ohne eigene Abgeordnete zu wählen, könnte dies die Legitimität des neuen Parlaments und seiner Entscheidungen in Frage stellen.

Um geltende Fristen einzuhalten, muss Großbritannien vor dem 12. April entscheiden, ob es an den Wahlen teilnimmt. Ratspräsident Tusk sagte, wenn die Briten bis dahin nicht eine Teilnahme beantragten, werde ein weiterer Aufschub "automatisch unmöglich".

Der EU-Gipfel kam May für die anstehende Abstimmung im Unterhaus entgegen: Er billigte offiziell die Brexit-Zusagen, die EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ihr am 11. März in Straßburg gegeben hat. Dieses Papier soll das Brexit-Abkommen ergänzen - und damit ein neues Votum in London überhaupt ermöglichen. Denn laut Geschäftsordnung des Parlaments darf die gleiche Vorlage nicht zwei Mal zur Abstimmung gestellt werden.

Die deutsche Wirtschaft bewertete den Gipfelbeschluss skeptisch. "Die Hängepartie geht weiter", kritisierte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. DIHK-Präsident Eric Schweitzer bemängelte, die Verschiebung des Brexits löse das Problem nicht. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen lobte den Beschluss hingegen als "flexible" Lösung, die den Briten "weiter alle Möglichkeiten" lasse.

(S.A.Dudajev--DTZ)