Corona-Krise treibt EU-Länder in beispiellose Rezession
Die EU-Kommission sieht Europa vor einer beispiellosen Rezession, die den Zusammenhalt der Gemeinschaft bedroht. "Es ist nun ganz klar, dass die EU in die tiefste wirtschaftliche Rezession ihrer Geschichte eingetreten ist", sagte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Mittwoch bei der Vorstellung der Frühjahrsprognose der Behörde. Der Gefahr eines Auseinanderdriftens könne nur mit "gemeinsamen Instrumenten" zum Wiederaufbau der Wirtschaft begegnet werden.
Die EU-Kommission geht in ihrer Frühjahrsvorhersage für das Jahr 2020 von einem Einbruch der Wirtschaftsleistung von 7,7 Prozent für die Euroländer und 7,4 Prozent für die 27 EU-Staaten aus. Demnach leiden zwar alle Mitgliedstaaten unter der Pandemie und ihren wirtschaftlichen Folgen; das Ausmaß der Krise und die Stärke des anschließenden Aufschwungs werden sich aber voraussichtlich deutlich unterscheiden.
Maßgebende Faktoren sind laut Wirtschaftskommissar Gentiloni die Geschwindigkeit bei der Lockerung von Corona-Maßnahmen, die Bedeutung von Dienstleistungen wie dem Tourismus für die jeweilige Wirtschaft sowie die finanzielle Lage der einzelnen Länder. Dementsprechend erwartet die Kommission, dass die Krise Italien, Spanien, Griechenland und Kroatien mit einem Einbruch von jeweils über neun Prozent und Frankreich mit minus 8,2 Prozent am stärksten trifft.
Deutschland würde mit einem Minus von 6,5 Prozent weniger hart getroffen. Die Kommission geht zudem von einer weiter relativ geringen Erwerbslosigkeit und einer rascheren Erholung im kommenden Jahr in Deutschland aus.
"Diese Unterschiede sind eine Bedrohung für den Binnenmarkt und die Währungsunion", warnte Gentiloni. "Dennoch können sie durch entschlossenes, gemeinsames europäisches Handeln abgemildert werden".
Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten der Kommission Ende April den Auftrag gegeben, ein billionenschweres Konjunkturprogramm auszuarbeiten. Als Veröffentlichungstermin war zunächst dieser Mittwoch genannt worden. Gentiloni sprach nun von den "kommenden Wochen".
Tatsächlich sind Volumen, Finanzierung und Auszahlungsmodalitäten dieses Wiederaufbauplans unter den Mitgliedstaaten hoch umstritten. Nördliche EU-Länder lehnen es ab, dass dafür von der EU-Kommission Schulden aufgenommen werden, die dann als nicht rückzahlbare Finanzhilfen an betroffene Staaten weitergereicht werden. Länder wie Frankreich, Italien und Spanien bestehen dagegen auf solche Transferzahlungen, um ihre ohnehin schon große Verschuldung nicht noch weiter zu erhöhen.
"Um ein weiteres verlorenes Jahrzehnt zu vermeiden, brauchen wir einen massiven Wiederaufbaufonds mit echtem Geld und ohne Tricks", forderte der liberale EU-Abgeordnete Guy Verhofstadt auf Twitter. "Die Solidarität stand im Mittelpunkt unserer Reaktion auf die Coronavirus-Krise und muss im Mittelpunkt unserer Reaktion auf ihre wirtschaftlichen und sozialen Folgen stehen", verlangte der europäische Gewerkschaftsbund ETUC.
Der Frühjahrsprognose der Kommission zufolge werden die Schuldenstände der EU-Länder neue Rekordhöhen erreichen. Die höchste Gesamtverschuldung wird demnach mit 196,4 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung der langjährige Krisenstaat Griechenland ausweisen. Schuldenstände über hundert Prozent werden 2020 auch für Italien, Portugal, Frankreich, Zypern, Spanien und Belgien erwartet.
In Frankreich, Italien und Kroatien sieht Brüssel zudem einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf über zehn Prozent, im Fall von Spanien und Griechenland sogar auf knapp 19 und 20 Prozent. Deutschland würde demnach Ende des Jahres mit vier Prozent Arbeitssuchenden im EU-Vergleich am besten dastehen.
Mit der schrittweisen Rückkehr zur Normalität erwartet Brüssel für kommendes Jahr Besserung. Ein rascher Ausgleich der diesjährigen Verluste sei aber nicht zu erwarten. Lediglich für Deutschland, Österreich, Kroatien, die Slowakei und Polen prognostizierte die Kommission, dass sie das Niveau der wirtschaftlichen Aktivität des letzten Quartals 2019 wieder erreichen werden. Auf den hinteren Plätzen liegen hier Italien, Spanien und die Niederlande.
(P.Vasilyevsky--DTZ)